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Buchrezensionen

 

Bernhard Lassahn / Frau ohne Welt - Der Krieg gegen das Kind

 

Als der 'große Milde' wurde der Autor einmal apostrophiert, und hinsichtlich des entspannten Schreibstils trifft diese Zuschreibung sicher auch noch heute zu (wenn man davon absieht, dass er Alice Schwarzer ausdrücklich zu den 'Dummschwätzern' zählt). Nicht aber hinsichtlich des Inhalts - der Buchtitel deutet es bereits an.
Zitat: "Wenn eine Liebe, aus der Kinder entstehen, nicht bedeutender wäre als eine, aus der keine Kinder hervorgehen, dann wären Kinder bedeutungslos. aus der gleichen Gültigkeit wird Gleichgültigkeit. Das Kind wird zu einem nichts."
Es handelt sich also nicht um einen verständnissinnigen Schmusetext. Lassahn bezieht klar Stellung und versucht dabei, die Interessen des Kindes in den Mittelpunkt zu stellen. Wirklich allein die des Kindes, die nicht, wie es sehr oft vermutet wird, mit denen von Frauen und Müttern identisch sind. Auch nicht mit denen von Homosexuellen und ihren Kinderwünschen.
Bei allem Furor ist der Band 'Krieg gegen das Kind' mit keiner Silbe frauen- oder schwulenfeindlich, er richtet sich aber sehr wohl gegen die kinderschädlichen Folgen von Feminismus und seiner Steigerung, dem gender mainstreaming und der allgemein positiv konnotierten 'Gleichstellung'. Beim vorliegenden Text handelt es sich nicht um eine streng wissenschaftliche Abhandlung mit massenhaft Fußnoten; er erinnert mich mehr an eine launig formulierte Anekdotensammlung der bitteren Sorte, aus der Lassahn seine Schlüsse zieht.
Eine packende Lektüre, aus dem Leben gegriffen und engagiert geschrieben.

 

    

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Galax Acheronian / Krok - ein Goblin auf Abwegen

 

Eine munter und ausschmückend erzählte Abenteuergeschichte, sicher nicht nur für Kinder lesenswert und ausgesprochen unterhaltsam. Man findet schnell hinein in diese fantasievolle Umgebung zwischen Menschenwelt und Schattenwald, dazu tragen auch die wirklich gelungenen und teilweise extrem niedlichen Zeichnungen bei.
Ich könnte mir allerdings vorstellen, dass die ein wenig derbe dargestellte Lebensweise der Hauptfigur 'Krok' inklusive genau beschriebener, aber ekliger Ernährungsgewohnheiten eher Jungs als Mädchen anspricht - es geht doch zuweilen etwas rau zu. Auf jeden Fall eignet sich das Ganze gut zum Vorlesen; für eine Folgeauflage wäre dem Buch ein ordentliches Lektorat bzw. Korrektorat zu wünschen.
Empfehlung!

 

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Birgit Theisen / Herr Spiro

 

Trotz des extrem düsteren Titelbildes: 'Herr Spiro' von Birgit Theisen ist ein gefühlvoll erzählter Roman, dem etwas eigentümlich Märchenhaftes innewohnt. Manche Schilderungen mögen auf den ersten Blick ein wenig detailverliebt erscheinen, manche Rückblenden sehr ausführlich und mäandernd geraten sein, in der Gesamtschau ergibt sich damit aber ein rundes, ein stimmiges Bild. Inhaltlich ist das Ganze eine überraschend gut gelungene Mischung aus zarter Liebesgeschichte und Trauerarbeit.
Die Autorin hat sehr authentische Figuren gezeichnet, der Roman ist auf seltsam anrührende Weise warm und weich, ohne aber weichgespült daher zu kommen.Wer sich auf eine ungewöhnliche Geschichte einlassen mag, wird viel Freude an diesem Buch haben.

 

    

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Sonia Rossi / Fucking Berlin

 

Diese biographische Erzählung einer jungen Frau lasst sich gut lesen, weil weitgehend lakonisch formuliert und frei von Weinerlichkeit oder gar Anklage. Wer sich allerdings sexuelle Einzelheiten erhofft, liegt jedoch falsch.
Wenn man das Buch zu Ende gelesen hat, beschleicht das Gefühl, von jemandem zu lesen, der überhaupt keine Ahnung davon hat, was mit ihm selbst geschieht und was er vielleicht selbst steuern könnte. Von jemandem, dem das Leben, auch das eigene Leben, fremd ist und der es wie von Ferne betrachtet.
Natürlich gibt es in allen Bereichen brummige Kundschaft, aber einer jungen, hübschen Frau sollte es doch vergleichsweise leicht fallen, das Eis zu brechen - nicht umsonst werden weibliche Polizisten zur Deeskalation in brenzligen Situationen eingesetzt. Der Autorin gelang es offenbar nur selten.
Insgesamt stellt sich die Frage, wer mehr Mitgefühl verdient hat, die Autorin oder ihre Kunden. Mir scheint, ihre Kunden. Denn Massage, auch schon medizinische Massage, erfordert ein konsequentes Bei-der-Sache sein, um so mehr wird das für den erotischen Bereich gelten. Eine weitgehend ziellose Masseurin, die Männer eher ablehnt und sie lieblos behandelt, hat schlicht den falschen Job gewählt und wird es als Prostituierte auch nicht zu hohem Einkommen bringen.
Interessante Lektüre, die mehr über der Autorin Innenleben verrät als über das Rotlichmillieu.


Als Jesus aus den Wolken fiel

Jesus in Dithmarschen - den neuen Gogolin-Roman schon jetzt vorbestellen!


 

    

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Jörg & Miriam Kachelmann / Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz

 

Ich habe mich eigentlich nie für Herrn Kachelmann interessiert, sonderlich sympathisch war er mir auch nicht. Daran hat sich nach Lektüre des Buchs nicht viel geändert, allerdings muss ich zugeben, dass er spannend und mitreißend formulieren kann. Als Leser kann man sich gut in die Situationen im Knast oder vor Gericht hineinfühlen und fragt sich unwillkürlich, wie derlei in einem Rechtsstaat möglich sein kann und wie es wohl einem ärmeren Mann ergangen wäre. Kachelmanns Werk wäre noch wirkungsvoller, wenn er auf die vielen Wertungen verzichtet hätte, denn die beschriebenen Erlebnisse und Tatsachen sprechen für sich.
Gut gefallen hat mir, dass einige Gerichtsentscheidungen im Wortlaut abgedruckt sind, so kann man sich selbst ein Urteil über das Funktionieren (oder eben auch das Nicht-Funktionieren) der deutschen Justiz bilden. Weniger gut gefallen haben mir die Passagen von Miriam, einfach weil sie wenig Erhellendes beitragen. Insgesamt liegt hier erfreulicherweise kein Armes-Würstchen-Jammerbuch vor, sondern ein sehr kämpferisches, das deutlich macht, wie leicht ein Mann, wie leicht jeder Mann Opfer von Falschbeschuldigungen werden kann.

Wünschenswert wäre, dass aus dem Fall Kachelmann gelernt wird, seitens der Polizei, seitens der Justiz. Dass gelernt wird, sehr genau hinzusehen und hinzuhören. Der Anteil der wegen Vergewaltigung verurteilten Täter im Verhältnis zu den Anzeigen lag 2006 bei 13 Prozent. Vermutlich werden die übrigen 87% nicht ausschließlich auf Falschbeschuldigungen zurückzuführen sein, der Anteil dürfte jedoch sehr hoch sein. Zu leicht werden weibliche Tränen als Beweismittel akzeptiert, zu gering ist das Risiko für eine Frau, die sich aus Rache oder anderen niedrigen Beweggründen zu einer Falschbeschuldigung hinreißen lässt. Ingesamt, besonders nach dem Tod des zu Unrecht verurteilten Lehrers Arnold, leider ein notwendiges Buch und ein gelungenes Plädoyer.

    

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Arne Hoffmann / 50 einfache Dinge, die Männer über Sex wissen sollten

Wenn Sie dieses Buch lesen, ist der Schritt zum perfekten Liebhaber nicht mehr groß, prahlt der Klappentext. Das mag augenzwinkernd gemeint sein, enthält aber doch einen wahren Kern. Angehenden Weinkennern wird bekanntlich geraten, möglichst viel Wein zu trinken - ein Weinführer in Buchform wird dennoch kaum schaden. Ähnlich verhält es sich mit dem Sex: Stetige Praxis ist unverzichtbar, auf dem Weg zum Könner können sich jedoch theoretische Hintergrundinformationen als nützlich erweisen, die Arne Hoffmann hier kenntnisreich, bemerkenswert umfassend und durchaus humorvoll liefert. Ein typisches Anzeichen für weibliches Interesse sei beispielsweise, wenn sie auch über seine dämlichsten Witze laut lacht.

"50 einfache Dinge" ist kein oberflächlicher Rammelratgeber für Machos, sondern geht im doppelten Wortsinn sehr in die Tiefe. Er bietet für seine speziellen Anleitungen filigraner Liebestechniken oft sogar wissenschaftliche Studien als Nachweis auf, inklusive Quellenangaben (12 Seiten!). Manche Tipps sind zwar schlichterer Natur ("Kreuzen Sie nicht angetrunken im Bordell auf!"), haben aber vermutlich ihre Berechtigung.

Insgesamt enthält Hoffmanns Buch erfreulich präzise, gefühlvolle Anleitungen und läßt wirklich nichts aus, auch nichts, was manchen Lesern schon als Vorstellung peinlich berühren könnte. Es ist amüsant zu lesen und ganz sicher auch für Frauen nicht uninteressant. Gewünscht hätte ich mir allerdings ein Stichwortregister - wie soll ich sonst den G-Punkt finden?

 

    

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Bastian Bielendorfer / Lehrerkind: Lebenslänglich Pausenhof

Eine Biographie, wie es sicher massenhaft in Deutschland gibt - auch ohne Eltern aus der Lehrerschaft, wenn man von der ständigen Notenvergabe im Privatbereich absieht. Der Leser erkennt vieles wieder aus der beschriebenen Zeit, wird allerdings aus der Lebensgeschichte immer wieder herausgerissen. Denn dem Autor liegt offenbar viel an vordergründiger Witzigkeit, am nächsten Lacher, dafür wenig an inhaltlicher Stringenz - das ist unter Schülerzeitungsniveau. Nichts gegen Humor der ganz einfachen Sorte, aber den zahlreichen, wirklich an den Haaren herbeigezogenen, plumpen Wie-Vergleichen merkt man das Gewollte zu stark an. Da schreit jemand wie ein Mönch, der im Keller eine Ziege vergewaltigt, da ist der Hund dumm wie dreißig Kilo Esspapier, da schwillt ein Kopf rot an wie eine Pavianrosette, Scrabble macht weniger Freude als eine Wurzelbehandlung mit der Kettensäge. Was als einzelner, schräger Vergleich vielleicht hingehen könnte, ist in so großer Menge der Lesbarkeit sehr abträglich, außer vielleicht für schmerzbefreite Mario-Barth-Fans. Im gesamten Buch kommt kein einziger positiv konnotierter Mensch vor, es wirkt vielmehr so, als habe sich jemand etwas fäkalhumorig-therapeutisch von der Seele geschrieben. Das mag dem Autor helfen, ein Gewinn für Leser ist es nicht.

    

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Rita Falk / Winterkartoffelknödel

Ein betont schlichter Dorfpolizist erzählt, was ihm so alles passiert, und er erzählt in betont schlichten Worten. Man sollte sich das so vorstellen, dass man mit diesem Menschen vielleicht in einer Kneipe sitzt und sein Leben erzählt bekommt. Entfernt erinnerte mich das Buch an die Geschichten vom 'Tegtmeier', der ebenfalls immerzu mit typischem Zungenschlag sämtliche Geschehnisse der Welt auf sich selbst bezog und entsprechend wertete.
Die 'Winterkartoffelknödel' sind für viele Schmunzler gut und bieten auf voller Länge nette Unterhaltung und Entspannung für Leser, die sich an teilweise derbem oder politisch unkorrektem Humor nicht stören.

 

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Lucy-Anne Holmes / Oh Happy Dates

Die Idee, den Ablauf zahlreicher amouröser Treffen in einem Blog zu veröffentlichen, bietet sicher reichlich Raum für ein unterhaltsames Buch. Besonders, wenn die Autorin Sinn für Humor mitbringt, was aber leider hier nicht der Fall ist. Statt dessen stolpert die Ich-Erzählerin Sarah wie ein aufgeregtes Huhn, das oft aufstoßen muss und gern 'Arsch' sagt, durch die vorhersehbare Geschichte und versucht derweil, irgendwie witzig zu wirken. Wenn ihr warm ist, dann ist ihr warm 'wie einem 'Würstchen im Speckmantel'. Wenn ein Mann lacht, dann natürlich 'lüstern, wie ein Mann, der sich in seinem Regenmantel in den Nebengassen einer Schule herumtreibt' - wie immer so ein Mann lachen mag. Wenn Sarah die falschen Worte wählt, landen die 'wie Vogelkacke auf einer neuen Frisur'. Die Autorin versucht offenbar, das Ganze möglichst jung, pubertär, frech und unangepasst erscheinen zu lassen. Auszug (S. 330):

'Pauls Erektion drückt gegen meinen Rücken. Ich kann mich damit jetzt nicht befassen, weil ich zwei Dinge erledigen muss. Ganz dringend! 1) Zähne putzen 2) Pupsen. Wenn ich allein aufwache, muss ich nie pupsen. Doch in den seltenen Fällen, da ich mit einem Mann aufgewacht bin, hätte ich genauso gut eine Trompete in meinem Hintern haben können. Ich muss aufstehen, diskret pupsen ...'

Was mich besonders gestört hat, waren vorweggenommene Wertungen, denn als Leser möchte ich die Dinge sehen und selbst bewerten, nicht nur platt berichtet bekommen. Wenn die Bank der Sarah den Kreditrahmen erhöht hat, will ich gezeigt bekommen, warum das keine besonders kluge Idee war und nicht bloß lesen, dass die Bank diesen Schritt 'idiotischerweise' tat.
Lucy-Anne Holmes versteht es nicht, Gefühle und Stimmungen zu vermitteln, darum ist sie gezwungen, den Text mit Adjektiven und Adverben hoffnungslos zu überfrachten. Es wimmelt von 'sagte ich beiläufig', 'erwiderte ich grausam' oder 'sagte ich entschlossen' - das sind Anfängerfehler, die das Lektorat hätte ausbügeln müssen.
Insgesamt ist es wirklich ein Buch zum Schreien. Aber es sind Schmerzensschreie.

 

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Carol O'Connell / Ein Ort zum Sterben

Carol O'Connell hat einen durchschnittlich spannenden Krimi vorgelegt. Man merkt ihm an, dass er bereits 16 Jahre auf dem Buckel hat, denn der letzte technische Schrei ist offenbar die Verwendung von Disketten und Modems. Die Hauptperson ist, dem feministischen Zeitgeist entsprechend, eine coole Computerhackerin, wie sie in der Realität seit den 90ern bis heute kaum existiert. Ein wenig fühlt man sich erinnert an die total toughen Tatort-Kommissarinnen, die ihre männlich-trotteligen Kollegen mit überlegen-weiblicher Ironie bloßstellen und in der nächsten Einstellung ganz allein eine bizepsbepackte Rotlichtgröße mit zwei Handgriffen aufs Kreuz legen.
Insgesamt enthält die Geschichte zu viele Personen, von denen jede einzelne wiederum zu viele Ecken und Kanten hat, ein unglaubwürdiges Panoptikum, durch das außerdem schwer durchzusteigen ist. Das liegt auch daran, dass Personen oft nicht mit ihrem Namen, sondern mit einer hervorstechenden Eigenschaft bezeichnet werden, z.B. die 'Zentnerfrau'. Für ein Debüt ist das Buch ganz ordentlich.

 

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Ferdinand von Schirach / Verbrechen

 

Diese Verbrechen sind flüssig zu lesen, und sie sind so interessant und spannend, wie es Erzählungen von Strafverteidigern eben sind - wir wollen das absolut Böse kennenlernen und einen wohligen Schauer ob unfassbaren Tiefe menschlicher Abgründe spüren. Das alles wird auch geboten, dazu noch in erfreulich lakonischer Weise.
Leider ist von Schirach kein guter Erzähler, er ist mehr ein guter Berichterstatter, der seine Leser nicht selbst erleben und sehen lässt, sondern ihnen trockene Zusammenfassungen aus alten Strafakten serviert. Das hat mit Literatur so viel zu tun wie ein genüsslicher Blutbad-Bericht in der Boulevardpresse, und es bleibt ähnlich oberflächlich. Zu allem Überfluss sprüht aus den Zeilen auch noch die coole Hybris eines Anwalts, der immerzu alles überblickt und wie einst 'Columbo' die Dinge im Griff hat.
Für ein Debüt ist das Buch eine ordentliche Leistung, die Geschichten selbst hätten allerdings noch gewaltiges Potential, tiefer ausgearbeitet und weniger berichthaft könnten sie ganz groß sein.

 

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Sabine Arnold / Boomerangs Flug

 

Eine gelungene Geschichte! Sehr viel Spannung, gemixt mit einem Schuss australischen Lokalkolorits, von letzterem hätte es auch gern ein wenig mehr sein dürfen. Es gibt eine Ich-Erzählerin, allerdings wird auch sehr oft die Perspektive gewechselt, was den Einstieg in den vielschichtigen Roman um einen rachsüchtigen Psychopathen etwas erschwert. Man bleibt aber bei der Stange, um zu erfahren, wie es weiter geht. Mitten im Buch geschieht eine völlig unerwartete Wendung, wie sie sich im wirklichen Leben durchaus zutragen mag, wie man sie Autoren aber nur schweren Herzens abkauft, einfach weil sie konstruiert und damit unglaubhaft wirkt.
Für meinen Geschmack sind die einzelnen Charaktere recht holzschnittartig gezeichnet: Die Guten sind einfach gut und verhalten sich auch so; der Böse dagegen ist böse, brutal, grinst gefühllos oder auch gern mal 'hämisch'. Eine Spur Ambivalenz hätte den Personen nicht geschadet. Andererseits gelingt es Sabine Arnold hervorragend, Emotionen überzeugend zu schildern, besonders die der weiblichen Akteure. Wünschen würde ich mir für dieses Buch ein vernünftiges Lektorat, das u.a. den ziemlich dichten Adjektiv-Urwald lichtet - hätte die Autorin nämlich noch einmal mehr das Wörtchen 'verzweifelt' verwendet, ich hätte sie völlig verzweifelt erschlagen. Und das wäre schade um sie gewesen, denn sie schreibt durchaus mitreißend und gefühlvoll.

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Mit eigenen Augen / Anthologie

Völlig verschiedene Ereignisse wie z.B. der Mauerfall, das Kriegsende, die Elbflut 1962 werden in diesen kurzen Abhandlungen bildreich geschildert. Nicht als sachlich-trockene Nachrichten, sondern aus dem sehr persönlichen Blickwinkel der Autoren, die diese einschneidenden Geschehnisse mit eigenen Augen gesehen und natürlich individuell erlebt und empfunden haben. Unbedingt lesenswert für Jüngere, die Vieles nur aus dem Fernsehen oder vom Hörensagen kennen, sicher aber auch für Ältere, die ihre eigenen Lebensgeschichten und Eindrücke mit denen anderer vergleichen können und vielleicht wieder einmal feststellen werden, dass im Leben nicht Schwarz und Weiß, sondern Grautöne vorherrschen.
Verschiedene Autoren, verschiedene Erlebnisse, und doch herrscht in diesem Büchlein insgesamt, sogar bei der Beschreibung freudiger Begebenheiten, ein eher nachdenklicher, beinahe melancholischer Grundton vor. Empfehlung!

 

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Frank Goosen / Pink Moon

Ein lakonisch erzählter Roman, dadurch zuweilen unerwartet komisch. Goosen kann bemerkenswert kurz beschreiben, so dass die Bilder im Kopf entstehen und die Beteiligten präsent werden. Leider beschreibt er aber auch Örtlichkeiten und Räume in epischer Breite, das ist wirklich langweilig und unnötig. Die Geschichte selbst gibt nicht so enorm viel her, wird eigentlich nur vom Stil des Autors vorangetrieben - und Goosen kann einfach begnadet erzählen. Dumm nur, dass er eigentlich nichts zu sagen hat.

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Rena Larf / Das Liebesleben einer Macho-Frau

 

Ich habe mich gut unterhalten. Allerdings ist der Titel etwas irreführend, weil die Protagonistin zwar verbal kraftvoll rüberkommt - aber eigentlich sucht sie die große Liebe ihres Lebens. Und wie sie sich in dieser Zeit der Suche Männer nimmt, das hat eher etwas Verzweifeltes als etwas Machohaftes. Für mich liegt aber gerade in dieser nur vordergründigen, zur Schau getragenen Frauenstärke der Reiz des Buches. Witzig fand ich den Einfall, einen gar zu schnell nahenden Orgasmus durch intensive Gedanken an eklige Weißwurst mit Senf hinauszuzögern. 

Es gibt Filme, bei denen wird, wenn es zur Sache geht, auf einen Sonnenuntergang geblendet. Und es gibt Filme, da hält die Kamera drauf. Rena Larf hält drauf. Zwar nicht häufig, dann aber sehr deutlich und für meinen Geschmack mit einer Art männlichem Blick. Sie umschreibt nicht, redet nicht um den heißen Brei, sie nennt beim Namen.
Munterer Stil, originelle Wortspiele, lesenswert!

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Das bevorzugte Geschlecht / Martin van Creveld

 

Frauen müssen nicht zum Wehrdienst, dürfen trotz längerer Lebenserwartung früher die Rente genießen, bei sinkenden Schiffen heißt es ‚Frauen und Kinder zuerst’. Neigt sich die Karriere dem Ende zu, bekommt die ausgebeutete Frau eben ein Kind und auch dann Unterhalt vom Vater, wenn der sie nicht geehelicht hat. Oder das Sozialamt zahlt und erwartet wenigstens bis zum dritten Lebensjahr des Nachwuchses nicht, dass die Mutter selbst für ihren Lebensunterhalt sorgt. Dann kommen Feministinnen und fordern ‚Gleichberechtigung’, meinen aber nur weitere Privilegien für Frauen.
Soweit war meine Meinung gefestigt, da goss ‚Das bevorzugte Geschlecht’ hektoliterweise Wasser auf meine Mühlen. Der Autor weist anhand geschichtlicher Quellen nach, dass Frauen niemals das unterdrückte Geschlecht waren, im Gegenteil. So waren Opfer von Hexenprozessen vielerorts nicht nur Frauen, sondern zu über 50 % Männer. Und wurden doch Frauen verbrannt, dann nicht zur Erhaltung des Patriarchats, sondern weil sie von anderen Frauen aus unedlen Motiven heraus denunziert wurden.
Unzweifelhaft ist, dass mehr Männer als Frauen berufstätig sind. Nun ist Arbeit nicht immer angenehm. ‚Warum glauben nur zwanzig Prozent aller Europäerinnen, die keine Kinder haben - und nur zehn Prozent derer, die welche haben - dass es für Frauen das beste sei, berufstätig zu sein?’ , fragt Creveld da nicht ganz zu Unrecht. Er weist auch nach, dass straffällige Frauen eigentlich immer wesentlich milder bestraft werden als straffällige Männer.

Der Autor hält Frauen für -wörtlich- das wehleidige Geschlecht, hier ein Auszug:
‚In fast jeder Hinsicht sind Frauen seit eh und je das privilegierte Geschlecht. Als Kinder werden sie sanfter angefasst und mehr behütet. Als Studentinnen wird ihnen schon seit langem nachgesehen, dass sie sich von Fächern fernhalten, die als die schwierigsten gelten. Als Erwachsene sind sie unter weniger Konkurrenz- und Leidensdruck. Was ihren Lebensunterhalt betrifft, sind sie oft in der beneidenswerten Lage, konsumieren zu können ohne produzieren zu müssen. Als Kriminelle und Prozessführende werden sie vom Gesetz und von den Gerichten wesentlich nachsichtiger behandelt. Als Staatsbürgerinnen sind sie nicht nur von der Pflicht befreit, an den schrecklichsten aller menschlichen Aktivitäten, d.h. dem Krieg, teilzunehmen, sondern werden auch besser vor ihm geschützt. Von Männern auf den Schultern getragen - manchmal, wenn es darum geht, Naturkatastrophen und ähnlichem zu entkommen, im wörtlichen Sinne - haben Frauen stets den Löwenanteil der Annehmlichkeiten genossen, die eine Gesellschaft, egal wann und wo, zu bieten hatte. Frauen, deren Leben als wertvoller gilt als das von Männern, sind seltener Opfer von Gewaltverbrechen.’

Diese Auffassung zieht sich durch das ganze Buch, jeweils belegt mit geschichtlichen Dokumenten. Das macht dieses Werk nicht gerade lesbarer, denn nach jedem dritten Satz findet sich eine hochgestellte Zahl, die auf Anmerkungen verweist. Allein diese Anmerkungen am Ende machen etwa ein Fünftel des Wälzers aus. Noch unangenehmer sind die Sätze mit massenhaften Prozentzahlen zu lesen. Beispiel: ‚Anfang der Neunzigerjahre waren in den USA 97 % aller Krankenpfleger, 97% der in der Krankenpflege tätigen, 73% der Lehrer, 84% der Lehrer in Grundschulen, 97,8% der Vorschullehrer und 68% der Sozialarbeiter Frauen.’
So geht das in einem fort, man gewöhnt sich beim Lesen daran. Allerdings sind Statistiken eine Frage der Bewertung und kein Beweis an sich. Auch inhaltlich wackelt Creveld: So versucht er den Eindruck zu erwecken, Frauen wären nicht wegen wirtschaftlicher Notwendigkeit, sondern wegen meinungsmachender Frauenliteratur berufstätig geworden. Seltsam fand ich auch seine Vermutung, dass die meisten Vergewaltigungen keine seien. Israelische Untersuchungen hätten ergeben, dass vier von fünf angezeigten Fällen Falschbeschuldigungen wären. Nun gut, die Forderungen von Feministinnen, in solchen Fällen den Frauen ohne weitere Prüfung zu glauben, weil die in diesen Dingen nicht lügen würden, hielt ich auch für abstrus. 

Gern bin ich bereit, fremde Kulturen zu respektieren. Aber Crevelds Annahme, genitale Beschneidungen von Mädchen in afrikanischen Ländern seien keinesfalls immer Verstümmelungen, sondern würde den Mädels später intensiveres sexuelles Erleben ermöglichen, will mir kühn erscheinen.

Bleibt noch die Frage, was man mit dem Lektor des ‚bevorzugten Geschlechts’ machen sollte. Ich sage: Feuern ! Der Lektor hat schludrig gearbeitet. So findet sich der Hinweis, dass in den Entwicklungsländern Frauen mit schädlichen Chemikalien zu tun hatten, was eine ‚gesundheitsschädliche Arbeit’ war. Zwei Sätze später heißt es, die Arbeit wäre ungefährlich, leicht und sauber gewesen. Was denn nun ?
Oder : ‚Bis 1947/48 waren so viele Frauen aus dem Arbeitsleben ausgeschieden, dass man Ausländerinnen brauchte, die ihre Stellen einnahmen. Das Ergebnis war ein kurzzeitiger Babyboom.’ Bekamen Ausländerinnen sofort Babys, wenn sie einen Job hatten ?
Insgesamt ist das Buch eine teure, schlecht zu lesende Zusammenstellung verschiedenster geschichtlicher Quellen, die eine Bevorzugung von Frauen belegen sollen, garniert mit einigen Vermutungen des Autors und gestört durch das grottenschlechte Lektorat. Da hat mir doch Esther Vilars dressierter Mann aus dem Jahr 1971, ganz ohne Statistiken, wesentlich mehr Lesefreude bereitet.

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Wolfgang Tornow / Sei Hartz

 

Eine originelle Idee, Arbeitslosigkeit und ihre Auswirkungen auf einen einzelnen Menschen als Märchen zu präsentieren. Ich denke, viele arbeitslose Leser werden bei der Lektüre feststellen, dass sie mit ihren Erfahrungen nicht allein sind. Spritzig finde ich auch den Einfall, Teile der Geschichte aus Sicht des Liebesgottes und aus Sicht böser Kobolde zu schildern. Streckenweise allerdings ist mir der Schreibstil zu berichthaft, hätte ich mir viel mehr satirische Überspitzung gewünscht und weniger Nacherzählung der Realität - aber für ein paar Schmunzler reicht es. 
Andererseits sind dem Autor gelegentlich die Gäule durchgegangen: Wenn der 'Arbeitsamtsmensch' 1999 schwärmt, wie hart er früher arbeiten musste und der Arbeitslose daraus einen Zusammenhang zum Mord an '5 Millionen Juden' und '20 Millionen Zwangsarbeitern' herstellt, muß ich anmerken, dass ein Amtsmensch von 1999 altersbedingt nicht während des dritten Reiches gearbeitet haben kann. Aber im Märchen ist alles erlaubt.

    

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Heute koche ich. Das Kochbuch für Männer.

Frauen gehören hinter den Herd und der gehört ins Schlafzimmer – solche Sprüche aus dem Munde von Ewiggestrigen gehören der Vergangenheit an. Heutzutage schuftet der Mann nicht nur den ganzen Tag, ist abends ein verständnisvoller Partner und liebevoller Vater, sondern er hat sich auch um die Kochkunst zu bemühen.
Dafür gibt es dieses Kochbuch für Männer. Um dem Aufjaulen feministischer Buchhändlerinnen entgegenzuwirken, gibt es vom gleichen Verlag ein ähnlich aufgemachtes Blondinen-Kochbuch. Oder das Schlampen-Kochbuch aus dem Rowohlt-Verlag.
Das Männerkochbuch bedient beliebte Klischees, schon auf dem Titelblatt ist ein Bild von einem Mann zu sehen, von einem ganzen Kerl, wie man ihn sich eher auf Baugerüsten vorstellt. Vielleicht mit blankem Oberkörper. Der gestählte Kerl präsentiert sich in Siegerpose vor einer gleichsam von Männerhand entweihten und demolierten Küche, gekleidet in Jeans und Muttis Rüschen-Schürzchen. Seinen Kopf ziert ein Edelstahl-Küchensieb, haha !

Laut Vorwort richtet sich das schmale, gebundene DIN A4-Bändchen an Herren, die im Notfall eher den Pizza-Dienst bemühen. Ich hatte nun auf so richtig kernige Gerichte wie ‚halbes Wildschwein auf Toast’ spekuliert, wurde aber mit Weichgespültem wie ‚Apfelküchle in Rotweinschaum’ enttäuscht. Welcher echte Kerl will denn so was ?
Die gerade mal 100 Seiten bieten gerade einmal 36 schön bebilderte Rezepte unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade. Danach ist das Buch auch unterteilt, es beginnt mit einfachem Apfelschneegestöber, gekennzeichnet mit einem blauen Töpfchen. Weiter hinten gibt es vier blaue Töpfchen, das sind dann so Sachen wie ‚Spargel-Käsecremesuppe mit Räucherlachs’ – aber so richtig schwierig ist das auch nicht.

Zwischen den einzelnen Kochanweisungen finden sich immer wieder Tipps für Kochanfänger, sei es zum Putzen von Blumenkohl oder zum Entfernen von Fischgräten. Das ist zwar sehr hilfreich, aber nur, wenn das Buch als Ganzes wie ein Roman gelesen wird, denn im Index finden sich die Tipps nicht und sind damit im Notfall unauffindbar. Zum Ausgleich finden sich immer wieder launige Zeichnungen vom muskelbepackten Titelhelden in unterschiedlichen Posen.
Wenigstens die Rezepte selbst finden sich im Inhaltsverzeichnis. Zwar in alphabetischer Reihenfolge, aber ohne Hinweis auf den Schwierigkeitsgrad. Den einfachen Bohneneintopf, Schwierigkeitsstufe = ein blaues Töpfchen, habe ich ausprobiert. Die Zutaten sind übersichtlich aufgeführt, die Zubereitungshinweise auch. Zubereitungszeit und Kalorienhinweise fehlen nicht. Der Bohneneintopf war wirklich schnell zubereitet, allerdings geschmacklich dünn, es fehlte an Kraft und Würzung. Die Autoren setzen zu sehr auf Fertig-Kräuterpasten und zu wenig auf echte, selbstgekochte Brühe.

Spargel-Käsecremesuppe mit Räucherlachs habe ich auch versucht, auch hier wird Instant-Hühnerbrühe als Grundlage empfohlen und insgesamt zu fade gewürzt. Die Suppe war am Ende zwar lecker, aber ich hätte mir mehr Sorgfalt beim Rezept selbst gewünscht: In der Zutatenliste wird 1 Eigelb gefordert, das taucht dann aber bei der Zubereitung nicht mehr auf und war übrig. Angesichts von nur 36 Rezepten sollte derartiger Pfusch vermeidbar sein.

Zu fade war auch die ‚Chinesische scharf-saure Suppe’, Schwierigkeitsgrad = 3 blaue Töpfchen. Nur mit viel Cayenne-Pfeffer, der im Buch keine Erwähnung findet, wurde sie dann etwas scharf.
Es gibt noch mehr zu meckern, nämlich das störende Produkt-Placement. Soll Mozarella verwendet werden, steht in Klammern dahinter: z.B. von Zott. Haferflocken: z.B. von Kölln. Nussnougatcreme: z.B. Nutella. Das Werk ist jedoch kein Werbegeschenk, sondern will bezahlt sein.

Insgesamt empfehle ich ‚Heute koche ich !’ als Verlegenheitsgeschenk oder müden Partygag, wenn einem nichts Besseres einfällt und es ein Geschenk im niedrigen Preissektor sein soll. Kostenpunkt 5,- Euro. Allerdings sollte der Beschenkte kein dünner Hering sein, er könnte wegen des immer wieder abgebildeten Kraftmenschen Komplexe bekommen. Es wird alles so erklärt, als wären Männer soeben den Höhlen des Neanderthals entkrochen.

Für Anfänger ist die bunt aufgemachte Rezeptsammlung eigentlich nichts, wegen der Fehler und wegen nicht vorhandener Präzision bei den Gewürzen. Nur derjenige, der schon oft am Herd gewerkelt hat, wird mit den Gerichten noch etwas anfangen können, andere sollten doch besser zur Tiefkühlkost, z.B. Bofrost mit einem blauen Töpfchen, greifen.

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Geständnisse eines Küchenchefs / Bourdain, Anthony

 

Wir sehen oft die Fernsehwerbung mit dem bäuerlich aussehenden Mädel, das liebevoll und langsam rot-bläuliches Früchtemus unter den cremigen Joghurt rührt. Wir möchten dieses schöne Bild gerne glauben, obwohl wir genau wissen, dass es keine Firma gibt, die täglich hektoliterweise Landliebe-Joghurt von bäuerlich aussehenden Mädels mit Früchten mischen lassen wird. Und das in kleinen, hellen Keramik- Schüsseln.

So ähnlich geht es uns allen zuweilen in Restaurants. Da wird lecker dampfend aufgetischt und vor dem geistigen Auge erscheint jemand mit dem Aussehen unserer lieben Oma, die voller Sorgfalt die Kartoffeln schälte und liebevoll einen Extra-Klecks Sahne oder gute Butter in die Soße gab. Aber auch hier wissen wir, dass unsere liebe Oma nicht in dieser Küche werkelt und befürchten, dass es beim Kochen noch wesentlich unromantischer zugehen könnte als in einer sterilen Edelstahl-Joghurtfabrik.

Die ‚Geständnisse eines Küchenchefs’ belegen, dass wir mit unseren Befürchtungen richtig liegen, dass alles noch viel schlimmer ist.
Das vorliegende Buch verheißt entlarvende Blicke hinter die Küchentür und verspricht dem Leser brauchbare Tipps und wichtige Warnungen für künftige Restaurantbesuche.
So nach dem Motto: Meeresfrüchte niemals montags, Schwertfisch niemals – wegen der Würmer!

Es gibt 6 Kapitel, die aber halb-originell nicht Kapitel 1 bis 6 heißen, sondern Amuse Geule, Erster Gang, Zweiter Gang bis zum Dessert. Wie witzig!

Der Autor ist Amerikaner, was sich leider auch im Schreibstil unangenehm bemerkbar macht. Statt einfach sofort zu schreiben, was der Leser erfahren soll, beginnt es mit langatmigem ‚Sie werden erfahren’ und ‚Ich werde berichten’.
Irgendwann beginnt dann doch die Biographie und man erfährt, dass der Autor durch eine Art Ekeltherapie zum Koch wurde, indem er sich vor Eltern und Bruder anbot, auch die widerlichsten Sachen zu verkosten. Zum Beispiel rohe Austern. Die fand er toll.
Ich finde ja, sie schmecken wie schleimgewordene Nordsee. Aber sie sollen gut für die Manneskraft sein, heißt es. Dann doch lieber Sellerie!

Anthony Bourdain beschreibt seinen Werdegang als Küchenhilfskraft und Koch in aller Breite und recht unterhaltsam, für Restaurantbesucher nützliche Tipps bleiben jedoch rar und beschränken sich hauptsächlich auf die erwähnten: Meeresfrüchte niemals montags, Schwertfisch niemals! Das steht aber schon auf dem Klappentext, dafür braucht niemand das Buch.

Interessant ist das Werk vielleicht als soziologische Studie, denn in Amerika scheinen alle Mitarbeiter der Gastronomie schwer gestrandete Asoziale zu sein, das gilt auch für den Autor. In den Küchen wimmelt es von Alkoholikern, Heroinsüchtigen, Kriminellen und aufdringlichen Schwulen.
Ein ‚normales’, bürgerliches Leben führt wohl niemand, was angesichts der geschilderten Stress-Situationen allerdings auch nicht wirklich verwundern kann. Es verwundert eher, dass angesichts der vielen abgerissenen Typen überhaupt noch ein annehmbares Gericht auf den Teller des Gastes kommt.

Bourdain aalt sich in Beschreibungen von Drogenexzessen, niederen Instinkten und schlichtem Dreck. Vorzüglich gelingt ihm die Beschreibung von höchst druckvollen Arbeitsabläufen in großen Restaurantküchen, so furchtbare Sachen kann man sich als normaler Steakesser gar nicht ausmalen. Ab und an kommt der Lesefluss ins Stocken, es werden doch viele Fachbegriffe (mise-en-place oder auch boudin noir) verwendet, die nicht jedermann geläufig sind.

Die mit teils sehr drastischer Wortwahl geschilderten menschlichen Abgründe sind so enorm tief und so unglaubwürdig, dass ich dazu neige, sie dem New Yorker Koch abzukaufen. Zumal nicht mit dem Finger nur auf andere, finstere Gesellen gezeigt wird sondern auch die eigenen Heroin- und Kokainabstürze in grellen Farben beinahe lustvoll ausgemalt werden.

Jemand, der gerne Koch werden möchte, könnte durch diese Lektüre leicht von seinem Vorhaben abgebracht werden, Abschreckung wird überreichlich geboten. Allerdings scheint bestimmte Menschen diese Art des Lebens – um nicht zu sagen: ‚Vegetierens’ - zu faszinieren, sie möchten auch so arbeiten und kämen mit einem gewöhnlichen nine-to-five-job vielleicht nicht gut zurecht. Man muss sich wohl auch nicht so sehr anpassen wie in anderen Berufen, der Umgangston ist rau, die Fluktuation ist sehr hoch und angesichts der lächerlich geringen Bezahlung findet sich immer ein Küchenarbeitsplatz.

Der Autor hat es buchstäblich vom Tellerwäscher zum respektablen Koch gebracht, wenn auch auf einem für Uneingeweihte kaum nachvollziehbaren Weg. Insoweit sind diese Geständnisse für ein wohliges Gruseln gut und auch dafür, dass der geneigte Leser sein eigenes Dasein nicht mehr ganz so öde und schlecht findet. Aber brauchbare Hinweise für Besuche von Gaststätten sind doch sehr, sehr dünn gesät, da hatte ich mir mehr erhofft.

Wenigstens habe ich jetzt schwarz auf weiß, dass in der Küche niemand sitzt, der wie meine Oma aussieht, voller Sorgfalt Kartoffeln schält und liebevoll einen Extra-Klecks Sahne oder gute Butter in die Soße gibt. Mir bleibt so lange noch die schwache Illusion eines von bäuerlich aussehenden Mädels handgerührten Fruchtjoghurts, bis irgendwann auch der Landliebe-Direktor seine sexdrogendurchtränkten Geständnisse in einem Buch niederschreibt. 

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Hella Broerken / PARIS-Restaurants: Meine Lieblings-Bistros, Cafés und Brasserien

 

Dieses Büchlein wurde offensichtlich von einer Paris-Liebhaberin zusammengestellt, man spürt es deutlich in jeder Zeile. Amüsant und kenntnisreich beschreibt sie Anekdoten und Besonderheiten, die sie in kleinen Restaurants und Brasserien erlebt hat - zuweilen gehen ihr allerdings die Gäule durch, wenn ihr z.B. vor lauter Stimmungsbeschreibung am Ende nur ein einziger Satz zur Qualität der Speisen einfällt.
Sehr charmant und passend finde ich die vielen Schwarzweissfotos, sie geben das Gefühl, als sei man um 50 Jahre zurückversetzt worden.
Natürlich bekommt man mit diesem Band keinen Restaurantführer wie den Gault Millau, aber doch einen recht schönen, eher privaten Einblick, wie in ein persönliches Fotoalbum von jemandem, den man nicht kennt.
Praktisch ist das kleine Glossar zu Begriffen, wie man sie auf französischen Speisekarten vorfindet, wenig sinnvoll dagegen die grobe Minikarte zum Auffinden der einzelnen Lokale. Lesenswert!

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Jean-Christophe Grange / Die Purpurnen Flüsse

 

Sonderlich spannend fand ich dieses Buch nicht, aber bis zum späten Ende durchgelesen habe ich es dennoch. Denn die am Ende tatsächlich gebotene Auflösung interessierte mich schon, auch wenn vieles vorhersehbar und arg durchsichtig erscheint. 

‚Die Purpurnen Flüsse’ sind ein als Thriller bezeichneter Krimi mit vielen der genreüblichen Zutaten wie knarzigen Kommissaren und schönen Frauen. 
Die ganze, sehr lange Geschichte ist gut und einigermaßen logisch aufgebaut, wenn ich mich auch stark an Motive aus Mary Shelleys Frankenstein oder der nationalsozialistischen Ideologie erinnert fühlte – insoweit nichts für schwache Nerven oder empfindsame Gemüter, die tote Kinder und herausgetrennte Augen in Krimis nicht so mögen. Etwas Ekeltraining eben. 
Kurz gesagt, handelt es sich um einen Actionreißer der einfachen Art. Immer wieder hatte ich den unerfreulichen Eindruck, dass der Autor beim Entwickeln des Plots begierig auf eventuelles Vermarkten von lukrativen Filmrechten schielte, und es ist ihm letztlich ja auch gelungen. Einige Szenen konnte ich mir sofort wie in einem Kinofilm vorstellen, so drehbuchartig und detailgenau fielen die Beschreibungen aus. Besonders an den Stellen, an denen gehandelt und sich bewegt wird und nicht nur gedacht. 

Vergleichsweise unglaubwürdig und hölzern gezeichnet werden alle menschlichen Komponenten (bis auf den Jähzorn des Hauptdarstellers), wenn es beispielsweise um polizeiinterne Wettläufe um die Aufklärung des spektakulären Falles geht. Wobei sich der arabisch-stämmige Kommissar immer wieder karrieregefährdend und betroffen-gutmenschlich in den Vordergrund drängelt. Und dabei dennoch den harten Kerl, den He-Man, den Hombron über die Maßen herauszukehren sucht. Dieser aufdringlich-kantige Held soll kein Held sein. 
Vieles wirkte auf mich sehr konstruiert und gewollt, es ist nicht einfach aus der Feder geflossen und der Autor musste sich deutlich lesbar anstrengen. 
Überhaupt – soviel sei verraten – geht es politisch sehr korrekt zu, denn letztendlich entpuppen sich ‚die Reichen’ und Gebildeten in einer Art geschlossenen Gesellschaft als abgrundtief böse und unmenschlich, während einfachen, armen Menschen kraft Armut eher das erstrebenswerte Gute innewohnt. Und natürlich ist der fremdländische Polizist auch einer von den guten Jungs, trotz zuweilen wirklich rabiater Ermittlungsmethoden. 
‚Die Purpurnen Flüsse’ (erschienen 1997) sind zwar flüssig geschrieben und liebevoll aus dem französischen übersetzt, haben aber in der morbiden Grundstimmung doch erhebliche und quälende Längen, die sich in der Verfilmung wohl mit Actionszenen wegdrücken ließen. Mir fehlte beim Stil eine gewisse spielerische Leichtigkeit, die eine solche Thematik noch gruseliger hätte wirken lassen. 
Statt der gebotenen vierhundert Seiten wäre ein Drittel weniger nach meinem Geschmack besser gewesen und hätte sich spannungserhaltend ausgewirkt, aber vielleicht wird Autor Jean-Christophe Grange ja nach Anzahl getippter Anschläge oder Zeilen entlohnt. 
Insgesamt ein nettes, mittelmäßiges Buch für eine längere Bahnfahrt oder einen langweiligen, verregneten Urlaub, aber gemessen am tatsächlich gefühlten Lesegenuss mit 8,60 Euro zu teuer, die Hälfte schiene mir für diesen sicher ernstgemeinten Versuch, einen Thriller zu schreiben, eher angemessen. 

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Friedhelm Busch / Greife nie in ein fallendes Messer

 

Enorm viele Menschen haben ja enorm viel Geld, und das will angelegt sein. Warum also nicht an der Börse noch mehr Geld machen ?
Um dem wenig informierten Laien unter die Arme zu greifen, gibt es allerlei wohlfeile Ratgeber von den Börsengurus dieser Welt und eben auch diesen vom Friedhelm Busch. Der ist bekannt als Börsenreporter bei N-TV, der kann live enorm tiefschürfend wirken und wirtschaftliche Zusammenhänge plausibel darstellen. Bisweilen sogar witzig.

Im Ramschverkauf der Drogeriekette Schlecker erwarb ich dieses Taschenbuch für 2 Euro, und das war zu teuer – da wäre die Anlage in 10 Aktien des Pleitekandidaten Comroad vielleicht lukrativer gewesen. In gebundener Form kostet das Buch gar 24 Euro.

Völlig uninspiriert erzählt Friedhelm Busch die Börsengeschichte seit 1987 nach und lässt absolut nichts aus, was nicht sowieso schon jeder weiß. Das Geschreibsel wirkt nur altklug und besserwisserisch, denn heute ist mir auch klar, was damals die richtige Strategie gewesen wäre.
Ich hatte ja gehofft, dass ein wenig ‚Butter bei die Fische’ kommt, wie man im Norden sagt, und dass dem Buchtitel gemäß alte Börsenweisheiten beim Wort genommen und analysiert werden. Pustekuchen, die Börsensprüche müssen nur als Kapitelüberschriften für langatmiges Gelaber herhalten. Dieses Buch hätte jeder schreiben können, der in den letzten Jahren regelmäßig Börsensendungen gesehen hat.

‚Meine Fehler bei der SAP-Aktie’ heißt ein Kapitel – eigentlich nicht überraschend, denn hätte er mit der Aktie alles richtig gemacht, müsste er nicht den Börsenkasper geben oder solch’ unsägliche Bücher schreiben. Ich dachte ja, jetzt würde es so richtig menscheln, aber Fehlanzeige: 
Herr Busch hat die SAP-Aktie zu spät gekauft, dann zu früh verkauft, dann wieder zu spät nachgekauft, dann wieder... das ganze natürlich in pseudowissenschaftlichem Tonfall, als hätte er bei vernünftiger Überlegung alles richtig machen können.
Das ist völlig hirnrissig, denn hinterher weiß ich auch bei jeder Aktie, was ich vorher hätte richtig machen sollen. Deswegen ist der Kauf einer fallenden Aktie zwar sicher ein Fehler, aber sicher kein mit Überlegung vermeidbarer, denn Aktienanlage hat nun einmal mit Zocken und Glück zu tun.
Ähnlich geht es mir beim Lotto: Ich gestehe meinen Fehler auf dem letzten Lottoschein ein, denn es waren trotz fundamentaler Überlegungen und Implizierung der Rahmendaten einfach die Falschen zahlen angekreuzt. Vielleicht sollte ich darüber ein Buch schreiben.

Buschs lieblos zusammengehauenes Machwerk wimmelt von Sätzen wie ‚kaufen, wenn die Kanonen donnern’ oder ‚die Börse ist keine Einbahnstraße’, es fehlt eigentlich nur noch der wissenschaftlich untermauerte Hinweis, dass der gewiefte Anleger Aktien doch bitteschön möglichst billig kaufen, aber möglichst teuer verkaufen sollte. Die Differenz wäre dann ja der Gewinn !

Das Thema ‚Neuer Markt’ wird nicht ausgespart: 
Herr Busch hat es von Anfang an gewusst. Es musste ja schief gehen. Die Aktien waren hoffnungslos überbewertet, die Blase musste platzen. Mag wohl so sein, aber warum schreibt er das erst, nachdem nun die Blase schon lange geplatzt ist ?

An der Börse wird es sicher auch das eine oder andere Anekdötchen geben, dass der Erzählung wert wäre – Busch verzichtet darauf, so dass es auf knapp 300 Seiten nicht nur keine Erkenntnisse, sondern auch nichts zum Schmunzeln gibt.
Ich habe den Eindruck, der Autor möchte Nachrichten von gestern einer Zweitverwertung zuführen, das ist aber ähnlich spannend und prickelnd wie die Nacherzählung des Endspiels der Fußballweltmeisterschaft von 1972. 
Im Klappentext rühmt die ‚Welt am Sonntag’ Busch als ‚Kultfigur der Börse.. mit süffisanter Metaphorik und meinungsfreudiger Fabulierkunst’ – da hat der Redakteur dieses Buch wohl nicht gelesen, denn es ist ein völlig nutzfreies Trauerspiel.

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Frank Goosen / liegen lernen

 

Kaufanreiz für diese Buch war zum einen eine ausführliche, nicht so sehr negative Kritik im SPIEGEL, zum anderen ein noch vorhandener 5-Euro-Gutschein für Amazon, so dass ich das Werk für DM 20,- inklusive Versandkosten bestellte.

Ein paar Tage später kam dann auch ich zur Lektüre, das Buch ist mit einem Schallplattencover ja wirklich ganz originell aufgemacht, es ist der erste Roman von Franz Goosen. Der Autor berichtet in lakonischer, trocken-humorvoller Weise über die (seine?) kleinbürgerliche Jugend, Elternhaus, erste sexuelle Erfahrungen und das Erwachsenwerden in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts.

Wichtig und interessant ist eigentlich weniger die ‚Lebensgeschichte’ selbst (darum und wegen der Spannungserhaltung verzichte ich hier bewusst auf eine Inhaltsangabe), als vielmehr die treffende und liebevolle Beschreibung der Lebensumstände und Gefühlslage in diesen Jahren, als es auch noch 2 deutsche Staaten gab. So ist eine sehr launige Beschreibung eines DDR-Besuches enthalten, in der dem Erzähler seitens einer Ordnungskraft mit vorgehaltenem Maschinengewehr ‚Entweihung sozialistischen Mutterbodens’ vorgeworfen wird, weil nach üppigen Bierkonsum ein Baum als Urinal zweckentfremdet wurde. Heute kaum mehr vorstellbar, aber ich hatte ähnliche Erlebnisse in bezug auf die Strassenverkehrsordnung der Deutschen Demokratischen Republik.

Amüsant auch die Beschreibung der Stimmung in der Schule, die auch ich so erlebt habe, denn damals ging es nicht um das ‚krasseste Handy’, sondern um Weltveränderung und Weltverbesserung. Kostprobe aus einer Szene zur Wahl einer Schülervertretung (!):

‚Die Menschheit sei heute in der Lage, sich hundertfach selbst zu zerstören, und der westlichen Welt falle nichts besseres ein, als im Profitinteresse des militärisch-industriellen Komplexes unvermindert an der Rüstungsspirale zu drehen, das legitime Selbstbestimmungsrecht der Völker beispielsweise in Mittelamerika mit Füßen zu treten und über die Führbarkeit eines thermonuklearen Krieges zu spekulieren, wobei der Verlust Europas und die Verseuchung der Atmosphäre billigend in Kauf genommen würden, anstatt den ersten Schritt in eine atomwaffenfreie Welt zu tun und auf die Stationierung der Pershing II und Cruise Missiles zu verzichten. In der ersten Reihe meldete sich ein Fünftklässler und fragte, was das bedeuten sollte. ...’ 

Im ganzen Buch wird die verbreitete Verklemmtheit, insbesondere vieler Elternhäuser jener Zeit, liebevoll umschrieben, ebenso die Anschaffung des ersten ‚Buntfernsehers’ und damals beliebter TV-Serien wie ‚Bezaubernde Jeannie’ und ‚Mini Max’. Nicht zu vergessen der auf Partys verbreitete und gefürchtete Kartoffelsalat mit beinharten Gurkenstücken. 

Mich haben insbesondere die Stellen beeindruckt, die die Unsicherheiten während der Pubertät, des ersten Händchenhaltens und der ersten Beziehungen betreffen – so ähnlich habe ich auch mal empfunden, ebenfalls bei der von Goosen als ‚Weibermusik’ titulierten Platte von ‚Barclay James Harvest’....Wie im wirklichen Leben wird bei der ersten großen Liebe des Erzählers deutlich, dass das Weibchen die Partnerwahl trifft.. wobei – auch wie im richtigen Leben – der Mann der Romantiker ist, der sich über das schöne Mädchen im Arm freut, während sie den Rest des Lebens verplant...

Auszug Klappentext: ‚Und so erzählt ... rückblickend sein Leben als Suche nach der einzigen Frau, die ihm etwas bedeutet hat, während seine amourösen Abenteuer ihn in Wirklichkeit kalt ließen.’ 

Ich denke, Frank Goosen, Jahrgang 1966 und sonst als Kabarettist (Duo Tresenlesen) tätig, hat die Stimmung dieser Jahre bis ins kleinste Detail sehr treffend und ausgesprochen humorvoll wiedergegeben, viele Leser dieses Alters werden sich bei der Lektüre zu 100% wiederfinden und ein Schmunzeln nicht unterdrücken können – wohl auch deswegen, weil jeder annimmt, er allein hätte diese Zeit so empfunden....  Für diejenigen, die damals bereits Eltern waren, ist das Buch vielleicht deswegen lesenswert, weil recht deutlich klar wird, wie Kinder und Jugendliche das elterliche (Fehl-?) Verhalten und auch ihre Gefühlsarmut (‚meine Eltern fassten sich nie an’) sehr wohl bemerkt und empfunden haben. Aber viele ‚Oldies’ werden das wohl lieber nicht erfahren wollen, geht es doch bei Gefühlen sehr ans ‚Eingemachte’, so was hatte man nicht oder zeigte man zumindest, auch aus Erfahrung und Furcht vor Verletzungen, um den Preis hohen Glücksverlustes lieber nicht.

Menschen um die 20 mögen sich aus historischem Interesse an den Stoff wagen, um zu sehen, wie die Jugend ihrer Eltern denn so gewesen ist – ich fürchte aber, dass trotz der genauen und zutreffenden Beschreibungen das damalige Feeling nicht ganz vorstellbar wird, vieles erscheint im Rückblick auch mir als Teilnehmer eher surreal....  inzwischen als günstiges Taschenbuch:

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Petra Hammesfahr / Der stille Herr Genardy

 

Dieser Roman vermittelt eine eher surreale, unwirkliche Stimmung. Das liegt teilweise am Erzählstil, denn es wird aus Sicht einer alleinerziehenden Mutter erzählt. Und gleichzeitig aus Sicht eines Mannes, der sexuelle Erfüllung nur in Kontakt mit Kindern oder gar Säuglingen findet. Zudem leidet die junge Mutter unter Träumen, die sie in die Zukunft sehen lassen – leider im unerfreulichen Sinne, sie träumt vom Tod, und immer exakt 3 Tage später stirbt tatsächlich jemand im näheren Umkreis....

Sigrid, so der Name der erwähnten Mutter, lebt offenbar in einer Welt von Kinderschändern. Schon ihr verstorbener Ehemann (, dessen Tod sie gleichfalls vorhersah), konnte mit ihr als Frau nichts anfangen: Ihn störte der Busen, er bestand auf Intimrasur und ein ‚Ehevollzug’ fand nicht statt, allenfalls Spielereien in der Badewanne – vielmehr interessierte er sich für ihren Säugling Nicole... Und Herr Genardy, die zweite Hauptperson des Buches, ist nun ebenfalls praktizierender Kinderschänder, der allerdings noch nicht enttarnt wurde und vor einer Enttarnung auch große Angst hat. Minutiös werden seine sexuellen Wünsche und Gedankengänge zu ihrer für ihn möglichst gefahrlosen Verwirklichung geschildert, wie eben die Versuche, an möglichst kleine, arglose Kinder heranzukommen, ohne entdeckt und bestraft zu werden.Dieser Herr Genardy wird im Laufe des Romans Untermieter von Sigrid und interessiert sich natürlich stark für deren kleine Tochter...das Ganze spielt in nervöser und aufgeheizter Atmosphäre, da auch eine Tochter von Sigrids Arbeitskollegin sexuell missbraucht und getötet wurde. Zudem leidet Sigrid unter dem Druck ihrer Mutter, die den Herrn Genardy ganz toll findet und ihn wohl schon als künftigen Schwiegersohn sieht.Ich verrate hier nicht zuviel der Geschichte, denn diese Dinge sind von Anfang an klar und unmissverständlich – spannend ist der Roman und das Ende allemal.

 ‚..eine Studie über sexuelle Verstörtheit, die unter die Haut geht..’ so beschrieb der Rundfunksender NDR das Buch von Petra Hammesfahr, treffender lässt es sich kaum ausdrücken. Ich hatte beim Lesen oft ein Gefühl des ohnmächtigen Nicht-Reagieren-Könnens, wie man es aus unerfreulichen Alpträumen kennt. Da ja die Gedankengänge des Täters sehr genau beschrieben werden, möchte man Sigrid immer zum Handeln und Schützen drängen – und sie reagiert angesichts ihres Verdachtes und ihrer einschlägigen Erfahrungen auch wirklich arg träge. Wenn das Wohl des eigenen Kindes in Gefahr sein könnte, würde ein Elternteil doch schon bei bestimmten Verdachtsmomenten tätig werden und nicht erst beim Vorliegen von gerichtsfesten Beweisen in doppelter Ausfertigung. Ungewöhnlicherweise ergreift die Autorin nicht direkt Partei, sondern beschreibt fast emotionslos die Gedankengänge und Gefühle ihrer Figuren. Das macht die Geschichte spannend, auch wenn mich seltsam berührt hat, das sexuelle Wünsche von Kinderschändern dargestellt werden wie ‚normale’ sexuelle Vorlieben auch. Es wird wenig gesprochen in diesem Roman, jede Person denkt für sich, und viele der Probleme würde es bei angemessener Kommunikation oder Nachfrage gar nicht geben. Ich denke auch, jede junge Frau würde sich Gedanken machen, wenn ihr zukünftiger Ehemann auf ihre deutlichen sexuellen Avancen auch nach Jahren noch mit dem Hinweis reagiert, diese Dinge wolle man sich doch für die Ehe aufsparen. Und selbst wenn sie sich keine Gedanken macht, würde sie ihn doch vermutlich nicht heiraten. In den niedergeschriebenen Gedanken Sigrids wird das auch deutlich: Sie wünscht sich verständlicherweise einen Mann, für den ‚ein Kind ein Kind ist und eine Frau eine Frau’. Aber sie sagt es nicht und fragt auch nichts und setzt es auch nicht um.

Es ist eben kein Tatsachenbericht, kein Pamphlet gegen Kinderschänder, sondern Fiktion und Roman. Ein Roman, der indirekt auch Gesellschaftskritik enthält am System der alleinerziehenden Mütter. Denn deren Kinder kommen aufgrund mütterlicher Erwerbstätigkeit oder anderer Interessen oft hinsichtlich Fürsorge und Kümmern zu kurz und werden, so die Essenz des Romans, durch einen starken Mangel an seriösen Ansprechpartnern leichter Opfer von Kinderschändern. Diese Kritik steht nicht wörtlich da, wie überhaupt eine Bewertung des Täters, der Mutter und der Umstände fehlt, aber die Kritik ist trotz des langen Spannungsbogens nicht zu überlesen. Gerade in diesem sensiblen Bereich taucht auch in der öffentlichen Diskussion der Wunsch nach Selbstjustiz auf – das Buch thematisiert auch diesen Weg unter Verzicht auf eine Bewertung. Insgesamt ein lesenswerter, wenn auch verstörender Roman für Menschen, denen es gut geht und die ansonsten keine Alpträume oder Ängste haben. Er ist wohl eher nichts für Menschen, die persönlich mit dieser Thematik schlechte Erfahrungen gemacht haben – vielleicht möchte man seine Gefühle nicht in einem thrillernden Buch verbraten sehen. 

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Iain Pears / Das Urteil am Kreuzweg

 

Dies mag wohl ein Buch für lange, dunkle Winterabende sein, nicht nur wegen seines üppigen Umfanges von 800 Seiten. Es werden anhand sowohl realer als auch fiktiver Personen aus der Zeit um das Jahr 1663 die Umstände politischer Wirrnisse um Monarchie und Glauben im Rahmen eines regelrechten englischen Krimis erzählt. Die Geschichte beginnt mit Schilderungen aus Sicht des Arztes Dr. Cola, und am Ende des ersten Kapitels ist auch schon der Krimi zu Ende.... denn das folgende Kapitel beschreibt dieselben Gegebenheiten noch einmal, nur aus Sicht eines anderen Beteiligten – und so geht es auch weiter in den Kapiteln, immer dieselbe Geschichte. Das hört sich nun unerfreulich langweilig an, ist es aber nicht, im Gegenteil. Beim Lesen der einzelnen Abschnitte gewann ich mehr und mehr den Eindruck, der Wahrheit um Mord und Intrigen, aber auch um medizinischen Fortschritt immer näher zu kommen, das war denn doch recht packend. 

Zunächst ist der Wälzer jedoch nicht leicht zu packen, das liegt am für heutige Verhältnisse ungewöhnlichen Schreib- und Sprachstil, der umständlich und sehr gestelzt wirkt. Man hat das Gefühl, sich mit einem mittelhochdeutschen Text zu befassen, für die ersten 50 Seiten empfand ich das als sehr anstrengend und unnötig und gewöhnungsbedürftig – es ging dann aber doch. Das liegt auch an der eindringlich beschriebenen Lebensart jener Zeit, der Armut großer Bevölkerungsteile, die schon beim Lesen ziemlich frösteln und verstohlen nach krabbelndem Ungeziefer im Wohnzimmer fahnden lässt. Man fragt sich die ganze Zeit: Wer ist denn nun der Böse und wo ist die Wahrheit, und der Autor macht es seinem Leser recht schwer, denn die Sichtweise jeder seiner Personen ist plausibel und nachvollziehbar.

Allerdings möchte man zwischenzeitlich immer „Diskriminierung !“ schreien, denn die lakonisch beschriebenen gesellschaftlichen Verhältnisse, die herrschende Doppelmoral wie auch die untergeordnete Rolle der Frau scheinen so heute undenkbar.In unserer angeblichen Leistungsgesellschaft wäre es ja kaum vorstellbar, dass jemand wegen seiner Herkunft besser angesehen ist als wegen seiner Leistung – damals galt edle Herkunft alles, echte Leistung kaum etwas. Heute gilt echtes Geld, wo es herkommt, kaum etwas ;-) 

Das Buch widmet sich ausführlich dem Leben einer jungen, attraktiven Frau, die allerdings von eher zweifelhafter Herkunft ( = schon die Vorfahren mussten für den Lebensunterhalt arbeiten) ist, revolutionärem Gedankengut nahe steht und wegen angeblicher Männergeschichten einen schlechten Ruf hat. Bemerkenswerterweise hindern diese abscheulichen Eigenschaften junge Herren, die ansonsten viel Gedanken und starke Worte um adlige Herkunft, Moral und verabscheuungswürdige Frauenzimmer finden, nicht an teilweise erfolgreichen Bemühungen, der Schönen beizuwohnen. Hinterher kann sie natürlich keinesfalls geehelicht werden, schließlich hat sie sich ja unverheiratet mit einem Mann eingelassen, die Schlampe... Interessant auch die Beschreibungen medizinischer Versuche und Therapien jener Zeit, die mit viel Aderlass und Urinverkostung des Medizinmannes Ernährung sicherte – wenn auch nicht auf direktem Weg ;-)

Manch’ Medizinstudent wird sich amüsieren über die ersten Versuche von Blutübertragungen direkt von Mensch zu Mensch, auch wenn wir sooo viel weiter heute auch noch nicht sind, letztlich unterscheidet sich die Felgenbremse des Fahrrades auch eher graduell von der Porsche-Bremse. Insgesamt ein lesenswertes Buch, wenn auch nicht für Menschen, die unter Krimi Jerry Cotton oder Agatha Christie verstehen. Der Sprachstil ist doch sehr gewöhnungsbedürftig und für ‚zwischendurch’ zu anstrengend. Das erklärt wohl auch, weshalb z.B. Karstadt und Buchhandelsketten nicht mehr die ursprünglichen 48,- Euro , sondern nur noch € 5,- für diesen Historienschinken in gebundener Ausgabe fordert. 10 Mark sind nicht zuviel, auch der dunkle, düster mit Totenschädel illustrierte Einband macht optisch viel her und sieht nach was aus im Regal ;-)

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Richard Dawkins / Gipfel des Unwahrscheinlichen

 

Evolution ist ein sehr interessantes Thema, zwecks Optimierung meines Schulwissens erstand ich dieses Werk von Richard Dawkins als Rowohlt-Taschenbuch für knapp 20 Mark. Der Autor zählt laut Beschreibung zu den ‚bedeutensten modernen Evolutionstheoretikern’, war Professor für Zoologie an kalifornischen Universitäten und in Oxford. Der ‚Gipfel des Unwahrscheinlichen’ soll den möglichen Weg der Evolution metaphorisch umschreiben: Es ging nicht mit einem riesigen Satz die Steilwand hinauf, sondern langsam auf der Bergrückseite die sanften Anhöhen und Böschungen auf den Gipfel des Berges hinauf – sehr hübsch.

Im ersten Kapitel kündigt der Professor in epischer Breite an, was er alles in den folgenden Kapiteln zu beweisen und erörtern gedenkt. Das hat schon leicht prostitutiven Charakter und erinnert an das Gebaren einer Gunstgewerblerin, die dem möglichen Interessenten ‚gaaanz tolle’ Dinge verspricht, wenn er ihr denn aufs Zimmer zu folgen gewillt ist. Langatmig wird in den folgenden Kapiteln erläutert, was jeder Gymnasiast in der Oberstufe lernt, nämlich, dass Darwin mit seinen Vermutungen vom Ursprung der Arten richtig lag, dass die Entwicklung auch des Menschen eben eine Entwicklungsgeschichte war und nicht ein einziger ‚Schöpfungsakt’. Möglicherweise wendet sich das Buch an völlige Laien, aber daran gemessen gehen dem Herrn Professor Wörter wie ‚Phänotyp’ doch gar zu leicht von den Lippen – überhaupt liest sich das Ganze, als sei es für einen Vortrag konzipiert. Für einen sehr langweiligen Vortrag.

Auszug: ‚Der Punkt, um den es mir geht, ist so offensichtlich, dass ich ihn kaum erwähnen brauche, aber er ist auch so wichtig, dass ich doch darauf hinweisen muss.’ Nicht nur wenig erhellend, auch noch falsches Deutsch ;-)

Zwar bleiben dem Leser die sonst unvermeidlichen Darwin-Finken auf den Galapagos-Inseln erspart, ansonsten wird der gesamte Darwin durchgekaut – und offenkundig ist Richard Dawkins der Unterschied zwischen Mimese und Mimikry nicht allzu vertraut, er wirft beides immerzu in einen Topf. Katastrophal gestaltet sich die Beweisführung mithilfe von Zeichnungen, möglicherweise war dem Zoologieprofessor entgangen, dass Ameisen sechs Beine haben und nicht bloß derer viere. Und zum Beweise, dass nicht nur Menschen die ‚Missionarsstellung’ kennen, sondern auch eine bestimmte Sorte Tausendfüssler, muss gleichfalls eine seltsame Zeichnung herhalten. So was kann ich auch malen, was soll das beweisen ? Natürlich hat der Autor auch den Computer bemüht, um die Evolution ansatzweise nachzustellen, beispielsweise mit der Entwicklung virtueller Spinnweben. Nicht ohne den geneigten Leser wissen zu lassen, dass das ganz schön aufwendige Berechnungen seien, aber im wirklichen Leben sei alles einfach so da, ‚eine eigene Berechnung ist nicht nötig’. Diese nervenaufreibenden, eher erzählenden Texte werden permanent mit der Wiederaufnahme der Titelmetapher garniert, und spätestens bei der 20 Erwähnung des ‚Gipfels des Unwahrscheinlichen’ stellt sich eine gewisse Ermüdung ein. Statt der verbrauchten 362 Seiten hätten, um den Inhalt verständlich zu erläutern und mit Beispielen zu garnieren, wohl auch 20 genügt. Nach der Lektüre frage ich mich nach dem Niveau des amerikanischen Bildungssystems, wenn jemand mit gewöhnlichem deutschen Abiturwissen dort Professor werden kann. Das Buch enthält keinerlei Neuigkeiten, war die 30,- Euro für die gebundene Ausgabe oder die € 9,95 für das 2001 erschienene Taschenbuch wirklich nicht wert. Wer sich erstmals mit dieser Thematik beschäftigt, sollte es vielleicht in einem Jahr auf Karstadts Grabbeltisch für dann noch einen Euro erstehen.

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Laura Reese / Brennende Fesseln

Er legt die Hände an die Innenseite meiner Schenkel und drückt meine Beine noch weiter auseinander. Dann beugt er den Kopf zu mir herunter und küßt meine Scham. Als seine Lippen meine Haut berühren, entfährt mir ein leises Stöhnen. Ich beobachte, wie er an mir saugt und leckt, wie seine Zunge....’ ....soweit ein kleiner Ausschnitt aus Laura Reeses ‚Brennende Fesseln’. 

Aha, könnte jetzt der unbefangene Leser vermuten, da haben wir also wieder mal einen mittelprächtigen Porno von ‚Wochenend’- oder ‚Coupe’-Niveau – der unbefangene Leser irrt aber doch. Die eingangs zitierte Ich-Erzählerin ist nämlich Hauptperson in einem Kriminalroman. 

Inhalt laut Klappentext: ‚Eine Frau auf der Suche nach dem Mörder ihrer Schwester.’ 

Das ist sehr karg beschrieben, wenn auch nicht verkehrt. Schon beim Studium des Tagebuchs wird deutlich, dass es hier um eine ‚atemberaubende Geschichte von Täuschung und Sinnlichkeit, Verlangen und Qual, Obsession und Verrat’ (Klappentext) geht.

Der Liebhaber der ermordeten Schwester, im Buche nur M. genannt und des Mordes wahrlich nicht gerade unverdächtig, ist nur zu bestimmten Bedingungen bereit, bei der Aufklärung zu helfen – einen ähnlichen Ansatz gab’s ja schon mal beim ‚Schweigen der Lämmer’. Diese Bedingungen sind eher erotischer Natur, allerdings geht es nicht um Blümchen- oder Kuschelsex, sondern um sadistisch-masochistische Einlagen von nicht zu unterschätzender Heftigkeit. 

An diesem Punkte erreicht der Roman leider eine hohe Stufe der Unglaubwürdigkeit:

Zwar bin ich keine Frau, aber die Vorstellung, dass sich die Hauptakteurin mit dem mutmaßlichen Mörder ihrer Schwester gerade auf solche Spielchen inkl. der Fesseln und anderer Folterinstrumente einläßt, hat doch etwas sehr unwahrscheinliches – trotz aller sexuellen Begierden hängt doch der Normalmensch ein wenig am eigenen Leben... Wobei interessant dargestellt wird, wie die eine Schwester die sadistischen Spiele ablehnt, die andere sie jedoch sehr schätzt.

Ansonsten ist das Buch recht spannend gehalten, ich empfinde die beschriebenen Gefühle als nachvollziehbar und auch anregend, obgleich ich persönlich –bin ja noch so jung- über keine Sado-Maso-Erfahrungen verfüge. Es wird sehr anschaulich und ausführlich jede dieser erotischen Spielarten, aber auch jede wohl dazugehörige Empfindung einfühlsam und eindringlich beschrieben. Nun halte ich mich zwar für einen mittelschwer aufgeklärten Menschen, aber zu bestimmten erotischen Spielarten fehlt mir denn doch der Zugang und ich möchte den Zugang auch nicht. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn es wie im Buch auch um Sodomie geht, da möchte ich der Autorin sagen: Och, nööö , das verhagelt mir die Stimmung...

Insgesamt: Ein sehr spannendes Buch mit sehr anregenden und auch weniger anregenden pornographischen Einlagen – Geschmackssache ! Empfindsame Menschen oder solche, für die Sex irgendwie ‚bäh !’ ist und allenfalls im Dunkeln unter der Bettdecke stattfinden darf, sollten diesen Wälzer bei Amazon, wo er für 8,- Euro erhältlich ist, einfach liegen lassen.

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Gabriele Popma / Umwege zum Glück

Der Schutzumschlag wird von einem bunten Werk des Künstlers Seurat aus dem Jahre 1884 verziert, der Klappentext umreißt mit dürren Worten den Inhalt des Buches:

‚ Corinna und Robert führen trotz mancher Spannungen eine gute Ehe. Da begegnet Corinna nach neun Jahren wieder dem Vater ihres nichtehelichen Sohnes...’ – hätte ich dieses Buch im Laden für 5 Mark gesehen, hätte ich es in Erwartung einer öde-langweiligen Herz-Schmerz-Geschichte mit verdient gutem Ausgang geflissentlich übersehen und mir lieber eine Ausarbeitung zum Thema ‚Frauenbefreiung in unserer Zeit’ gekauft ;-)

Ich habe es aber über die Autorin selbst für gut 6 Euro inklusive Versand und persönlicher Widmung bezogen, und für soviel Geld habe ich es nun auch gelesen. Es ist ein dicker Roman mit über 400 Seiten, könnte von der inhaltlichen Form her auch eine Biographie sein, es wird aus der Perspektive des erwähnten Mädchens ‚Corinna’ erzählt. 

Als Leser ist man gewohnt, sich mit der Hauptperson zu identifizieren, ihre Handlungen, Reaktionen und vor allem ihre Gedanken kennen zu lernen. Das ist auch hier so, allerdings hat mich seltsam berührt, dass immer wieder auch die Gedanken und Beweggründe der anderen Figuren erwähnt werden, die kann man ja im wirklichen Leben allenfalls erraten und in sonstigen Romanen fallen ‚andere Figuren’ normalerweise durch Handlungen, nicht durch ihre Gedanken oder gar Ängste und Sorgen auf.

Die Geschichte beginnt mit Corinna als 19jähriger, erzählt ihre Familiengeschichte und die erste Liebe sehr munter, auch wenn beispielsweise das erste Kennenlernen der Liebenden auf mich arg konstruiert wirkte – andererseits ist das Leben wohl manchmal derart bunt. Nach meinem Geschmack vermag die Autorin Gefühle sehr präzise zu beschreiben: ‚Ihr Verstand schien regelmäßig auszuhaken, wenn ...in ihrer Nähe war’ – so ist das im Zustande des Verliebtseins. Sehr glaubhaft und wie selbsterlebt lesen sich sämtliche Gefühlserlebnisse, die eben mit Liebe, Schmerz, Selbstzweifel, Geburt etc. zusammenhängen, auch als Mann hatte ich den Eindruck, zumindest in einigen Bereichen (nicht bei der Geburt !) mitfühlen zu können. Dafür vergaloppiert sich Gabriele Popma bisweilen bei der Einschätzung der Männer:

Wenn ein Mann eine von der Natur überdeutlich begünstigte Freundin hat, interessiert ihn deren gesellschaftliche Position oder Brieftascheninhalt weniger – das mag umgekehrt eher vorkommen, aber der Hang mancher hochgestellter Herren zu ‚einfachem’, aber hübschem Personal ist ja legendär. ‚Umwege zum Glück’ ist trotz (oder wegen ?) halbwegs alltäglicher Geschichte spannend geschrieben, in keinem Moment kommt dieses aus langweiligen Kinofilmen bekannte Auf-die-Uhr-sehen-müssen-Gefühl auf, es geht immer munter voran, die Geschichte ist dicht gepackt und frei von Füllseln und Landschaftsbeschreibungen, wie ich sie bei Rosamunde Pilcher trotz des geschätzten Thymianduftes hasse. Halbwegs alltäglich, weil auch das Thema ‚körperliche Behinderung’ so behandelt wird, wie ich mir das im richtigen Leben wünsche:

Der Behinderte ist nicht die ‚arme Sau’, auf die mitleidig voller Hilfsbereitschaft herabgesehen wird, es wird auch nicht weggesehen – die Behinderung ist eben ganz normal da und wird nicht effektheischend oder verkaufsfördernd in den Vordergrund geschoben.  Dennoch: Sollte dieses Buch jemand verfilmen wollen, dürfte sich die Taschentuchindustrie ob einiger Schnief-Szenen sicher freuen, auch wenn durchaus launige Dialoge enthalten sind. Leider nicht nur launige, bisweilen reitet die Autorin auch der Gaul des Klischees, wenn die gute, gute und vom Leben auch gebeutelte Corinna von ihrer Konkurrentin als ‚die vom Land, sieht man sofort’ apostrophiert wird, das erinnert doch sehr an altertümlichen Standesdünkel und wirkt recht unrealistisch. Insbesondere dann, wenn die Konkurrenz mit überirdischer Schönheit gesegnet und Corinna eher unteres Mittelmaß ist. 

Sprachlich haben mir die ‚Umwege zum Glück’ besser gefallen, als der Buchtitel hoffen ließ, insbesondere die Adjektive sind sehr liebevoll und treffend ausgewählt. Das Lektorat hat zuweilen etwas lieblos gewurschtelt, es war nicht nötig, dass ein Antwortender immerzu ‚echote’, manchmal hätte auch ein schlichtes ‚antwortete’ ausgereicht. Ich habe mich bei der Lektüre gut unterhalten, es ist eine sehr spannende und nette Geschichte unter Menschen ‚wie Du und ich’ in normalen Verhältnissen und bei weitem nicht so, wie mich der knappe, arztromanfähige Klappentext befürchten ließ.

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Esther Vilar / Heiraten ist unmoralisch

Schon in älteren Büchern wie ‚Der dressierte Mann’ (1971) hat Esther Vilar den interessierten Leser wissen lassen, dass sie von ihren Geschlechtsgenossinnen wenig hält. Und so ist es auch in dieser polemischen, fast bösartigen Erörterung zum Thema Heiraten:

Nach Frau Vilars Meinung ist Wohlbefinden oder ‚Glück’ aus Sicht einer Frau durch die Befriedigung des Selbsterhaltungs- und Fortpflanzungstriebes definiert. Eine Ehe mit dem richtigen Partner könnte die Bedürfnisse mit einem Doppelschlag garantieren, denn dieser Mann zahlt das täglich Brot, ‚die winterliche Heizölrechnung und schlafen kann man mit ihm auch’. Und wenn der Auserwählte im Bett ein Langweiler ist, sollte er zumindest genügend Geld anbringen, denn schließlich sind Essen und Unterkunft allemal wichtiger als Sex – das ‚Talent zum Liebhaber wiegt weniger als die Eignung zum Ernährer’. 

Für eine derart berechnende Sichtweise führt die Autorin quasi biologische Gründe an: Ein Mann ist bekanntermaßen außerstande, sexuelle Erregung zu heucheln und sich aus kühl-sachlichen Erwägungen heraus mit einer Frau zu vereinen, begehren muss er sie schon. Dagegen kann eine Frau – da sexuell permanent einsatzbereit- nur so tun, als ginge es ihr um gemeinsame Lust, wo es ihr doch ‚in Wahrheit um die eigene Versorgung geht’.

Aber immerhin: ‚Es ist ... nicht weibliche Perversität, sondern Mutter Natur ..., die den Mann bei diesem Deal zum Käufer und die Frau zur Ware macht.’ Siehste, so schlecht sind Frauen gar nicht, und wenn doch, ist die Natur schuld !

 Esther Vilars Definition der Ehe:

1)      Die Frau besitzt die Lizenz, die Arbeitskraft ihres Mannes exklusiv zu verwerten.

2)      Ihr Mann darf dafür exklusiv ihre Geschlechtsorgane nutzen.

3)      Sollte ein anderer Mann Interesse an 2) haben, wären auch die Verpflichtungen aus 1) zu übernehmen.

 ‚Heiraten ist unmoralisch’ ist kein rein sachlich-analysierendes Werk, dem Leser werden die Sätze mit ziemlicher Wucht um die Ohren gehauen, lassen von der Form her fast keinen Widerspruch zu. Inhaltlich aber schon, denn wenn die genannten Thesen zuträfen, stellt sich doch die Frage, warum es so viele berufstätige Frauen gibt. Langweilen die sich, sind sie zu dämlich oder häßlich, einen Mann abzukriegen oder sind’s alles Lesben ? Oder haben alle arme Schlucker geehelicht ?

Ich verzichte auf einen Kommentar und zitiere den Philosophen Schopenhauer:

‚In unserem monogamischen Weltteile heißt Heiraten seine Rechte halbieren und seine Pflichten verdoppeln’ – gemeint natürlich aus männlicher Sicht ;-) 

Auch  Emanzipation  und Frauenbewegung werden kritisch beleuchtet, kurz gesagt: Alles Kokolores ! Viele der ‚Kämpferinnen’ seien Lesben gewesen, die die männliche Konkurrenz nur madig machen wollten. Und die Medien hätten nichts anderes zu tun gehabt, als die Erklärungen homosexueller Frauen, Beischlaf mit Männern sei demütigend, umgehend nachzuplappern. Die verteufelten Machos seien die Rivalen beim Kampf um die sexuelle Gunst der zur Revolte aufgeforderten Schönen gewesen.

In Wirklichkeit jedoch seien die Männer das benachteiligte Geschlecht: Militärdienst, Ersatzdienst, spätere Rente trotz kürzerer Lebenserwartung; und, im Falle der Scheidung: Frau bekommt im Normalfall Kind und Wohnung; Männer arbeiten lebenslang – Frauen nach Heirat nur mit jahrelangen Pausen, in Teilzeit oder gar nicht; Männer verdienen den Unterhalt von Frauen, Frauen so gut wie nie den von Männern. Dieser Aufzählung von Benachteiligungen von Männern vermag ich allerdings nicht zu widersprechen, dafür habe ich auch zu viele männliche ‚Scheidungsleichen’ im Bekanntenkreis: Die geschiedenen Herren dürfen den Rest ihres Lebens trotz Berufstätigkeit auf Sozialhilfeniveau fristen, während sich die Damen für 1x Kind-Bekommen über eine lebenslange Pension ohne Erwerbsarbeit freuen dürfen. Schon verständlich, wenn Frauen da keinen Wert auf Gleichberechtigung legen...

Insgesamt also ein Buch, das sicher nicht den Anforderungen der ‚political correctness’ genügt, aber gerade deswegen lesenswert ist. Denn Bücher von ‚Vordenkerinnen’ über Frauen, die kraft Geschlechts besser, gescheiter, phantasievoller und sensibler seien, gibt es ja zuhauf. 

‚Für die meisten Menschen ist Moral die Art von Anstand, die gerade Mode ist’ (Frederico Fellini)

    

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Asterix und Latraviata   -Comic-

 

Gallia est omnis divisa in partes tres - Ganz Gallien ist in drei Teile geteilt, von denen einer die Belger beheimatet... zwar ist Gallien im Jahre 50 v. Chr. von den Römern besetzt, ein von unbeugsamen Galliern bevölkertes Dorf hört jedoch nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten – dieser Anfangstext findet sich auch im neuen Asterix und ist inzwischen historisches Allgemeingut in Deutschland. 

Einige Jahrzehnte gibt es mittlerweile die Asterix-Comics, dieses ist Band XXXI (=31), und eigentlich bekam und bekommt der Käufer immer das, was er erwartet. Das finde ich persönlich erfreulich, weil ich Überraschungen nicht schätze – ich kaufe auch gerne CDs von Sade oder Enya, die kenne ich dann meistens schon vor dem ersten Hören, Fans von Dieter Bohlen /Modern Talking kennen dieses Phänomen ja sicher auch ;-) 

Die Erwartungshaltung der Konsumenten schien sehr groß zu sein, denn Amazon benötigte geschlagene 2 Wochen, bevor mir eine gebundene Ausgabe der 2. Auflage für DM 16,80 ins Haus geliefert wurde. Zudem sind die meisten Kritiken über dieses Bändchen eher negativ, viele waren wohl doch sehr enttäuscht. Ohne den Inhalt hier wiedergeben zu wollen, beinhaltet ‚Asterix und Latraviata’ ein leichtes Geschichtchen wie die vorhergehenden Bändchen auch, begleitet von kleinen, zeitbezogenen Abkürzungen wie BSE oder ICE und lateinischen Sprüchlein (cautela abundans non nocet – zu viel Vorsicht schadet nicht).

Sehr amüsiert habe ich mich über das Auftreten der Mütter von Asterix und Obelix, das erinnerte mich an Schulzeiten, zu denen man von der eigenen Mutter mit Koseworten vor allen Mitschülern auf Klassenreise entlassen wurde. ‚Tschüs, mein Spätzchen !’ Wie peinlich !

Ähnlich geht es jetzt der Heldenfigur, die von der Mutter permanent mit ‚Rixchen’ tituliert wird und Obelix, dem Muttern eine gesunde Suppe anstelle (!) eines Wildschweins zum Mittagessen offeriert.Auch die Piraten tauchen auf, Römer heißen ‚Bonusmalus’, ‚Keinentschlus’ oder ‚Darmverschlus’ – sicher nichts für Freunde des feinsinnigen und hintergründigen Zynismus’, aber eigentlich Asterix-üblich. Ebenso wie gehabt die Schlägereien zwischen den Matadoren und den Römern, wobei die lautmalerischen Kampfgeräusche sich wie ‚Tschack! Tschirack!’ und ‚Josch! Kahh!’ anhören. Zeichnungen und Texte, nach dem Tod von Goscinny ist Uderzo allein verantwortlich, habe ich als liebevoll und gelungen empfunden – nicht weniger als in den Vorjahren auch. Sicher fand ich Asterix früher irgendwie witziger, das liegt aber wohl weniger am Asterix, sondern an mir. Menschen entwickeln sich ja doch weiter.

Was vor 20 Jahren brüllend komisch war, wirkt heute vielfach angestaubt, siehe die Fernsehwiederholungen von ‚Ein Herz und eine Seele’ mit Ekel Alfred in den 3. Fernsehprogrammen – das waren früher echte Straßenfeger, heute sind die Folgen nur noch historisch interessant und belächelnswert. 

Asterix war nach meiner Meinung nie eine revolutionäre Figur, die das Gegenwärtige in Frage stellte oder gar eine Neuauflage des kommunistischen Manifests von Marx zum Inhalt hatte, im Gegenteil: Die Frauenrolle war eigentlich immer festgelegt (‚Das Essen ist fertig, Schnäuzelchen!’) und multikulturell aufgeschlossen ging es auch nicht zu (‚ Ich habe nichts gegen Fremde, aber diese Fremden sind nicht von hier’). Auch im vorliegenden Band wird Asterix von seiner Mutter aufgefordert, sich eine bessere Hälfte zu suchen, damit in seiner Hütte mal klar Schiff gemacht wird – Frauen als Dorfälteste sind nicht vorgesehen... 

Dieser Comic will und wollte nie die Welt verändern, sondern will leichte Unterhaltung in geschichtlicher Umgebung bieten – das tut er auch, insbesondere sicher für leidgeprüfte Latein-Schüler. Zwar habe ich mir zu keiner Zeit vor Lachen brüllend auf die Schenkel geschlagen, aber für einiges Schmunzeln langte es doch: Das Bändchen ist sein Geld allemal wert. 

Trotz meiner positiven Bemerkungen halte ich diesen Band 31 nicht für den besten, besser hat mir ‚Asterix bei den Schweizern’ gefallen, weil da von dekadenten Orgien die Rede war und ich erstmals von wirklich leckerem Schweizer Käsefondue las – und es begeistert ausprobiert habe, wenn auch ohne die strengen Regeln (‚In den See, mit einem Gewicht an den Füßen’ im Falle des wiederholten Brotstück-Verlustes).Und natürlich läßt sich ein gewisser Qualitätseinbruch, bedingt durch den Tod Goscinnys, nicht verleugnen, am deutlichsten wird dies beim ‚großen Graben’. 

Mit den Witzchen von Harald Juhnke konnte man weder zur Zeit des ersten Asterix-Heftchens noch heute reüssieren, um Bildung vorzutäuschen oder beim anderen Geschlecht Eindruck zu schinden und mehr zu ernten als ein mitleidig-angestrengt-duldames Lächeln. Das war bei alten Goscinny/ Uderzo-Bänden noch anders – es gab viele lateinische Sentenzen, die auch Nicht-Lateiner auswendig lernen konnten, um sie bei möglichst unpassender Gelegenheit dem angebeteten Gegenüber zu präsentieren: Beati pauperes spiritu war immer sehr beliebt: Selig, die arm an Geist (..denn ihr ist das Himmelreich). Ein paar Sätze mehr dieser Art hätten Asterix gut getan, aber vielleicht verfügt Uderzo nicht über humanistische Bildung, aber ich sehe das sine ira et studio (leidenschaftslos) – obgleich mich mein damaliger Lateinlehrer zum Lesen von Asterix in dieser beinahe ‚toten’ Sprache nötigte, was dann letztendlich zum Erwerb des ‚Latinums’ führte ;-)

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Der Schwur vom Dulsberg  /  Nick Aboreas

 

...eine zarte Frau mit spitzer, langer Nase, deren süßliche Töne vor Jahren seine Lenden hatten vibrieren lassen’, solche Sachen schreibt Nick Aboreas. Abgedrehte Erotik ist eine feine Sache, bislang hat aber noch jede spitze lange Nase mit süßen Tönen meine Lenden kalt gelassen. 
Abgedreht – Grotesk - Satirisch: 
So steht es auf dem Cover und so ist das Buch geschrieben, ein Buch für Hamburg-Liebhaber. Allein die Ortsbeschreibungen sorgen für heimatliche Gefühle für den, der die Hansestadt kennt. Es ist die Geschichte eines Schwurs, der nach Jahren seiner Erfüllung entgegensieht.
Die Figuren heißen wie oder wer sie sind, der Gefängnisdirektor beispielsweise ‚Festhalter’. Eine Schreibtechnik, die inzwischen fast in Vergessenheit geraten ist, aber in diesem Werk ihren Reiz hat.
Aboreas hat einen temporeichen Roman geschrieben, wahrlich kein 08/15-Geschreibsel. Er schreckt auch vor ‚beglatzten’ Köpfen nicht zurück. Ich empfehle den Schwur vom Dulsberg Lesern, die eine Schwäche für Lektüre außerhalb breitgetretener Pfade haben, die ungewöhnlichen Humor mögen. Wer Rosamunde Pilcher liebt, wird Nick Aboreas hassen, obgleich seine Landschaftsbeschreibungen besser und lebensnäher sind. Auch wenn sie nicht nach Thymian duften, was an der Hamburger Elbe aber keinen verwundern kann.

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Zwischen den Schatten / Heike Hartmann-Heesch

 

Trotz des grenzwertigen Klappentextes, dem zufolge der Leser hin und wieder 'verwundet' zurück bleibt, hat Heike Hartmann-Heesch hier ausgesprochen bemerkenswerte Erzählungen vorgelegt. Immer ein wenig düster, immer ein wenig melancholisch, geht es auf hohem sprachlichen Niveau um Sehnsüchte und Ängste. Man könnte die eine oder andere Geschichte durchaus als Lyrik empfinden, natürlich ohne die Gedichtform. Die Autorin schafft es, auch schwermütige Gedanken und Traurigkeit so in Worte zu fassen, dass man sich ihnen nahe fühlt. Billiger Trost der Marke 'Alles wird gut' oder die Möglichkeit, einfach wegzusehen, wird allerdings nicht geboten.
Insgesamt ist dieses Bändchen kein Werk, das man mal eben in einem Rutsch durchliest. Man nimmt es wieder und wieder zur Hand, wenn man an sich oder der Welt oder an beidem zweifelt und das Gefühl braucht, in dieser bedrückenden Stimmung nicht allein zu sein.

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Auf eigene Gefahr / Achim Amme

 

Sonette sind bekanntlich eine eher strenge Gedichtform (14 Zeilen), umso erstaunlicher die Leichtfüßigkeit, mit der Achim Amme sie daherkommen läßt. Er hat offenbar die Damenwelt nach ihrer Vorstellung über Sex und Erotik befragt, herausgekommen ist Sinnliches, Zupackendes, Derbes, Schüchternes, Nachdenkliches - jedoch niemals Langweiliges. Für meinen Geschmack ist das kein Buch zum schnell Durchlesen, sondern eines zum immer wieder mal hineinsehen. Macht Spaß und eignet sich wegen der edlen Aufmachung gut als Geschenk.

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Laß uns Begegnen  /  Yvonne Naumann

 

Gegen Gefühle helfen geschliffene Argumente selten. Deshalb haben viele Menschen Angst vor Gefühlen. Und Vorbehalte gegen Lyrik. Denn die zielt nicht auf den Kopf, sondern auf den Bauch. Das ist auch bei den Liebesgedichten von Yvonne Naumann so. Wehren kann sich der Leser gegen ihre lyrisch-kantige Liebesgeschichte nur, indem der die Lektüre verweigert. Ansonsten lässt er sich auf die zwiespältige Gefühlswelt einer hungrigen, aber niemals satt gewordenen Liebe ein. Unglücklich Verliebte werden in zeitgenössisch-harter, nicht altertümlich-romantischer Sprache daran erinnert, dass sie keinesfalls allein sind mit einem Kummer, der einem erfüllten Leben innewohnen kann.
Ein trotz zuweilen etwas konstruierter Wortfolge lesenswertes Büchlein, das pseudorationaler Sachlichkeit eine Absage erteilt und ermutigt, schmerzliche Gefühle gegen alle Vernunft zuzulassen. Ohne Untiefen ist Glück nicht erhältlich.

 

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Das dritte Prinzip  /  Norbert Krüger

 

Stephan, der bewusst französische Lebenskünstler mit kargem Filmkritiker-Einkommen, lernt die spröde Suzanne kennen und schätzen. Trotz langwieriger Versuche gelingt es ihm kaum, sich der jungen Dame seelisch und körperlich zu nähern. Die wurde nämlich auf einer griechischen Insel vergewaltigt, wie sie nach einiger Zeit erzählt.
Stephans heile Welt samt innerer Sicherheit gerät dadurch ins Wanken, kannte er doch leidende Opfer bislang nur virtuell durch Film oder als gedankliches Konstrukt, nicht im wirklichen Leben. Als moralisch empörter Frauenversteher begibt er sich nach Korfu, um Suzanne zu rächen und die Welt zu heilen, in der der Böse bestraft wird. Die Reise bietet ihm eine Fülle von Möglichkeiten, seine hohen moralischen Anforderungen an Andere mit eigenen Taten und Untaten in Einklang zu bringen. Oder eben auch nicht.

Zu den Stärken des Autors Norbert Krüger gehören die Beschreibungen zwiespältiger Gefühle und pittoresker Örtlichkeiten. Sehr schön und gut nachvollziehbar werden Widersprüche zwischen korrektem Gedankengut und unkorrektem Handeln herausgearbeitet. Der Protagonist spürt den Gegensatz überdeutlich und vermag sich doch nicht zu wehren. Man fühlt, wie ihm seine Vorstellung der Welt und der eigenen Person entgleitet.
Eher schwach sind Passagen, in denen etwas passiert, weil die Aktionen zu offensichtlich als Vehikel für Gedankenkaskaden dienen sollen. So auch die Schilderung der Vergewaltigung selbst – etwas mehr als 5 Sekunden Gegenwehr und die Frage ‚Was ist denn in Dich gefahren ?’ mit unverzüglicher Schicksalsergebenheit hätte es schon sein dürfen.

Das Buch ist umweht vom Charme der 70er Jahre des vergangenen Säkulums, Frauen wurden als die gut handelnden Menschen entdeckt und Männer als Täter mit bösartigen Penetrationsgelüsten. 
‚Das dritte Prinzip’ fährt auf dieser Schiene: Wenn Frau bei Mann einzieht oder sich gar unbekleidet zu ihm ins Bett begibt, sind sexuelle Begehrlichkeiten des Kerls natürlich unstatthaft. Frau kann schließlich erwarten, dass ihr Opferstatus erahnt wird und außerdem sind doch alle Männer irgendwie Vergewaltiger. 
Stephan, aus dessen Sicht die Geschichte erzählt wird, hat das so verinnerlicht und hinterfragt Suzannes Vergewaltigung und Verhalten nicht. Das erinnert an frauenbewegte Forderungen, die eine Bestrafung eines Täters auf die bloße Behauptung des Opfers hin verlangten, denn Frauen würden in diesen Angelegenheiten nicht die Unwahrheit sagen. Stephan findet es auch nicht seltsam, dass einer vergewaltigten Frau nichts Besseres einfällt, als sich für eine Mitfahrgelegenheit einen unbekannten Mann auszusuchen ...

Die auf den ersten Blick leichte Lektüre hinterlässt den Leser nachdenklich, nicht zuletzt wegen der brachial winkenden Symbole aus Musik und Filmzitaten nach dem Motto: Jetzt lies’ doch mal das Hintergründige zwischen den Zeilen !
Vielleicht steckt ja doch nicht in jedem Manne ein Vergewaltiger, aber ‚Das dritte Prinzip’ regt an, einmal das eigene Verhalten an dem zu messen, was man für gut und böse hält. Eine Lösung fehlt, was mich unbefriedigt gelassen hat. Aber vielleicht sollte man Befriedigung nicht gerade von einem Buch mit der Thematik ‚Vergewaltigung’ erwarten.
Lesenswert !

Seit Herbst 2012 als überarbeitete Neuauflage unter dem Titel 'Ende der Leichtigkeit' im Handel:

   

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Bärenliebe von A bis Z    /   Wolfgang Weninger

 

Gerne lese ich Texte voller Saft und Kraft, weil ich mich dann als ganzer Mann fühle.
‚Und du sehntest dich nach der Unzucht deiner Jugend, als die Ägypter nach deinen Brüsten griffen und deinen Busen betasteten.’ So etwas schätze ich, zumal dem Schreiber der winzige Unterschied zwischen Brüsten und Busen geläufig war. Aber immerzu mag ich die Bibel auch nicht lesen (Hesekiel, 23), denn der Trend geht neuerdings doch in Richtung Zweitbuch.

Kühn entschied ich, beim Buchstaben ‚B’ zu bleiben und widmete mich erwartungsfroh der ‚Bärenliebe von A-Z’ des Wiener Autors Wolfgang Weninger. Schon beim ersten, zufälligen Aufschlagen hatte ich Glück:
‚Aber dieser Traum ist so deutlich, dass ich die Hand spüre, die meinen Oberschenkel entlang streift und ihre Finger durch mein Schamhaar tastend in Richtung meines Freudenspenders gleiten lässt.’ Na bitte, da fühle ich mich doch wieder als ganzer Mann, beinahe so wie sonst nur beim erbaulichen Bibelstudium.
Wolfgang Weninger war sich nicht zu schade, persönliche Opfer zu bringen und für die Frauen unserer Welt den Globetrottel zu geben. Einige schöngesichtige, junge Damen sind auf dem gewagt altrosafarbenen Buchcover abgebildet. Mir persönlich hat die Zweite von links in der zweiten Reihe von oben am besten gefallen, eine bemerkenswert hübsche Dunkelhaarige, leider ohne Namen und Telefonnummer. Schade.
Erstaunlich und herzlos finde ich, Menschen nach dem Alphabet zu sortieren, dagegen sollte es eine Genfer Konvention geben. Unter Androhung ernster Konsequenzen.
Viel menschlicher und mehr gentleman-like ist es, seine abgelegten Mädels chronologisch zu ordnen, wie ich es gern prahlend zu tun pflege. Außerdem hat das Alphabet nur 26 Buchstaben, welcher gesunde Mann mit gesunden Bedürfnissen soll denn wohl damit auskommen ?
Eine Geschichte, bestehend eben aus 26 einzelnen Geschichten über Frauen und mit Frauen, von einer Anja bis zu einer Zoe. So ein Glück, dass es außer Zenzi wenigstens einen weiblichen Vornamen mit dem Anfangsbuchstaben ‚Z’ gibt, denn ‚Bärenliebe von A bis Ypsilon’ hätte sich als Buchtitel schwerlich verkaufen lassen.

Es sind originelle, abwechslungsreiche Anekdoten, die einzeln gelesen werden können und nach meinem Geschmack sollten. Oft, sehr oft geht es richtig und schnell zur Sache. FSK ab 16. Der Ich-Erzähler mimt nicht in peinlicher Weise den smarten James-Bond-Eroberer. Auch nicht einen wildromantischen oder schmierigen Casanova.
Wie bei jedem gesunden Mann im wirklichen Leben fallen ihm, der sich Bär nennt, Frauen zufallsbedingt um den Hals. Sehr verschiedene Damen in sehr unterschiedlichen Situationen. Er scheint aber nicht bemerken zu wollen, dass die Weibchen wählen. Auch wie im wirklichen Leben.
Mir ist aufgefallen, dass der Autor seine Sympathie höchst ungleichmäßig und ungerecht verteilt, einige der Damen scheinen ihm lieber zu sein als andere. Auch dagegen sollte es eine Genfer Konvention geben, das wäre dann schon ein Doppelbeschluss.
Ein Gemälde gibt partiell immer auch die Seele des Künstlers preis, und nicht anders verhält es sich bei Büchern. Weninger kann eigene Erlebnisse, Erfahrungen und Gefühle nicht immer verbergen, auch wenn sein Werk eine fiktive Biographie zu sein vorgibt. Immer wieder schimmert durch, welche Geschichten dem Leben entnommen sind, das verhindern auch erfundene Phantasie-Begebenheiten nur beim Querlesen. Das Echte ist besser.

Der Schreibstil hat mir gut gefallen. Offenbar hat der Lektor eine Schwäche für Iulius Caesars ‚Gallischen Krieg’ gehabt und beängstigend lange, jedoch grammatikalisch korrekte Bandwurmsätze durchgehen lassen. Ich habe auch so eine Schwäche für den alten Caesar.

Sex ist nun einmal Sex. Da auch für dieses Buch keine neuartigen Geschlechtsorgane oder unbekannte Praktiken erfunden werden konnten, sind Klischees wohl zwangsläufig.
Sätze wie ‚Ich gehöre nicht zu der Sorte Mann, die eine Frau nur benutzt’ mögen eines Ehrenmannes würdig sein, wirken in erotischen Texten aber ähnlich krampfhaft wie die beliebten Dialoge in drittklassigen Pornostreifen.
Oder: ‚Für mich ist es der hässlichste Laut auf Erden, wenn Kinder oder Frauen weinen’ – das ist rührend. Rasch gefolgt vom Rein-Raus-Spiel. Der Autor hätte entscheiden sollen, ob er moralisieren oder sexeln möchte, die zu schnelle Mischung kann ungücklich sein.

Wir wissen aus der Tierwelt, dass dort allgemein die Männchen das weitaus schönere Geschlecht sind. Beim Menschen wird das ähnlich sein, allein der umnebelnde Geschlechtstrieb lässt Männer wie auch Wolfgang Weninger die meisten Frauen schön und begehrenswert finden. Dagegen ist nichts einzuwenden. Allerdings bekommen auch Frauen mit ungewöhnlichen Vorlieben in diesem Buch einen positiven und immer latent liebenswerten Charakter. So, als wären sie die ‚eigentlichen’ oder besseren Menschen. 
Wie die erwähnte Zoe, die gern Gipsabdrücke von erigierten Penissen sammelt. Würde ein Mann erzählen, dass er Vagina-Abdrücke für sein Regal sammelt, hätte er keinen liebenswerten, sondern einen dreckschweinischen Charakter und wäre ein vergleichsweise schlechter Mensch.

Aber ich will nicht hadern, schließlich ist dieses Werk nicht philosophisch-tiefschürfend. Und in der Bibel gibt es ein ganz anderes Frauenbild. Ansonsten empfehle ich als Zweitbuch die Bärenliebe.

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Manntage / Arno Strobel

 

Ein spritziger Roman um Männer im besten Alter’ steht auf dem Klappentext, und wer jetzt einen Roman voller Saft erwartet, wird auf seine Kosten kommen: Es gibt viel Gerstensaft, um den sich die Hauptfiguren mit Hingabe kümmern. Ähnlich wie bei den Kreuzberger Nächten bleibt es aber beim Bier.
Die Ehefrauen machen Schönheitsurlaub auf Mallorca, die midlife-Crisis-geplagten Männer planen daher, währenddessen ihren Marktwert zu testen und richtige Kerle zu sein. Die Umsetzung der hochfliegenden Pläne lässt die Herren jedoch von einem Chaos ins nächste stolpern. Freunde burlesker Komik werden hier auf ihre Kosten kommen, ich fand allerdings die Darstellung männlicher Phantasien und Denkweisen beeindruckender. Romane solcher Art von Frauen über Frauen gibt es ja zuhauf, von männlicher Seite wurde das Thema noch selten beleuchtet. Zwar sind die beiden Protagonisten mit starken, insbesondere erotischen Phantasien ausgestattet, machen aber im Zweifelsfall einen Rückzieher selbst bei verlockenden Angeboten willig-hübscher Mädels und jammern lieber ihren geliebten Ehefrauen hinterher. Richtige Kerle sind das nicht.
Der Roman lebt von gelungenen und spritzigen Dialogen, die hinter wortspielerischer Witzigkeit tiefe Einblicke ins männliche Seelenleben erlauben, sehr gelungen !
Weniger glücklich hat das Lektorat agiert, denn der Leser ahnt schon relativ früh eine Pointe der Geschichte, die das Opfer angeblich erst zum Ende hin bemerkt – das hätte man besser künstlerisch im Dunklen lassen sollen.
Insgesamt: Sehr lesenswert, insbesondere, wenn die Gattin gerade auf Mallorca weilt!

 

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Anleitung zum Unschuldigsein / Florian Illies

Florian Illies gelang mit diesem Buch bereits der zweite Bestseller, wenngleich sich mir schon die Ursache für den ersten großen Erfolg ‚Generation Golf’ nicht recht erschließen wollte. In jenem Erstlinkswerk Buch wurde krampfhaft versucht, das Lebensgefühl einer ganzen Generation unter das Gerüst einer VW-Werbung zu pressen – sicher eine launige Idee, die aber allenfalls für eine Kurzgeschichte getaugt hätte und zudem nur sehr bedingt treffend oder originell umgesetzt wurde.

In seiner neuen ‚Anleitung zum Unschuldigsein’ prangert der Autor die Neigung der Deutschen an, sich permanent für irgend etwas schuldig zu fühlen und folgerichtig immerzu ein schlechtes Gewissen zu haben, und das mit durchaus weitreichenden Folgen.
Als Beispiel wird die allseits beliebte Mülltrennung erwähnt, die Ausländern kaum zu vermitteln sei. Gehört der Joghurtbecher nun ausgewaschen oder nicht nun mit oder ohne Deckel in den gelben Sack oder nicht ?
Wegen Ihres schlechten Gewissens gegenüber der Umwelt und den Mitgeschöpfen würden sich die Deutschen mit der ausufernden Mülltrennung quasi selbst bestrafen, ohne jedoch das eigentliche Problem anzugehen oder gar einer Lösung zuzuführen. Das ist auf Dauer natürlich kein sonderlich angenehmes Gefühl, aber Florian Illies hat die Lösung in Form von 23 ‚Übungen’ parat, Beispiel:
‚Wir trennen eine Woche den Müll nicht, werfen alles in eine durchsichtige Tüte, warten, bis möglichst viele Leute im Hof sind, und werfen die Tüte unter Anteilnahme der Hausgemeinschaft in die gelbe Tonne. Anschließend werfen wir noch 200 alte Batterien nach und einen vom Vormieter übernommenen und längst abgestorbenen Ficus Benjamini. Dann tauschen wir die Aufkleber ‚Weißglas’ und ‚Grünglas’ auf den Glascontainern aus und gehen zurück in unsere Wohnung’

Es ist mithin mehr ein Werk für Freunde des abstrakten Zynismus, des schwarzen Humors und auch der politischen Unkorrektheit. So wird angeprangert, dass auf dem Frankfurter Flughafen ‚Rom’ angezeigt wird statt des italienischen ‚Roma’. Andererseits sucht man Krakau vergebens, weil – als indirektes Eingeständnis ewiger deutscher Schuld- natürlich das polnische Krakow auf der Tafel steht.
Kapitelweise und in epischer Breite werden die Möglichkeiten seziert, ein schlechtes Gewissen zu haben und zu kultivieren, indem man Dinge tut (oder auch nur denkt), die vielleicht nicht ganz in Ordnung sein könnten wie: Einen Tramper im Regen stehen lassen, einen Tisch aus Tropenholz oder Eier aus der Legebatterie erwerben oder gar dem pakistanischen Rosenverkäufer abends im Restaurant nach langem Feilschen KEINE Rose abzukaufen.


Übung 16:
Heute gehe ich rauchend bei rot über eine Ampel, an der 3 Mütter mit ihren Kindern warten.

Florian Illies ist hier wirklich ein nettes kleines Büchlein gelungen, dass den Leser zwar nicht brüllend vor Lachen auf die Schenkel schlagen lässt, aber dennoch öfter für amüsiertes Nach-Oben-Zucken der Mundwinkel zu sorgen vermag. Es ist die richtige Lektüre für eine zweistündige Bahnfahrt, falls keine Neigung besteht, den ‚Stern’ , die ‚Neue Post’ oder den immer interessanten ‚Zugbegleiter’ zu studieren.
Viele der aufgeführten Beispiele sind wirklich nachvollziehbar und wohl fast jedem bekannt, auch wenn mir an einigen Stellen das Schmunzeln im Halse stecken bleiben wollte, weil natürlich auch ich gelernt habe, dass ‚man’ über eine ganze Reihe von Dingen keine Witze macht und dass ich dem Taxifahrer keinesfalls nur passend ‚rausgebe....
Der Autor schreibt normalerweise Artikel für eine große Zeitung (FAZ), und das ist auch gut so. Soll heißen: Dabei sollte er bleiben. Er hat pfiffige Ideen, die teilweise originell und bisweilen richtig witzig sind, sie tragen aber eigentlich kein ganzes Buch, sondern allenfalls einen längeren Artikel oder eine Glosse. Sein durchaus ironischer Schreibstil würde auch in der Werbewirtschaft ankommen, weil der Leser immer vermutet: Jetzt kommt’s gleich, jetzt geht’s los, jetzt geht’s ab, aber der Text hat die Neigung, in Ankündigungen zu verharren und Erwartungen zu schüren, die dann nicht erfüllt werden, so dass ein schaler Beigeschmack bleibt. Interruptus. Zwar war dieser Eindruck in ‚Generation Golf’ weitaus stärker, jedoch scheint sich zumindest das Verlagshaus Argon über diese Schwäche des Schreibers im Klaren zu sein. Denn der neue Bestseller (momentan Platz 5 in der SPIEGEL-Liste) hat zwar einen Umfang von über 250 Seiten, angesichts vieler leerer, lediglich nur mit einer kleinen Graphik oder Headline bedruckten Seiten hätte wohl auch knapp die Hälfte genügt.
Die Preisforderung in Höhe von € 17,50 (gebundenes Buch) ist daher wirklich eine mittlere Unverschämtheit – aber vielleicht beruhigt das viele bezahlte Geld mein schlechtes Gewissen, weil ich ja eigentlich viel mehr Lesen sollte. Gewissermaßen Strafgeld. Neuerdings nur noch 9,- Euro als Taschenbuch:

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Marlo Morgan / Traumreisende    

    
Der Bahnhofskiosk in Potsdam bot nur sehr geringe Auswahl, als Lektüre für den Kurzurlaub musste also ‚Traumreisende’ von Marlo Morgan herhalten. Die Medizinerin Morgan hatte ja bereits einen in 26 Sprachen übersetzten Bestseller geschrieben mit dem Titel ‚Traumfänger’, und so vermutete ich einen zweiten, weit dünneren Aufguss. Tatsächlich lassen sich über weite Strecken Ähnlichkeiten beider Bücher nicht verleugnen. ‚Traumreisende’ schildert den Lebensweg eines australischen Aborigines-Zwillingspaares, das nach der Geburt sofort voneinander und auch von der Mutter durch die herrschenden Weißen getrennt wurde. Während das Mädchen nach langem Gang durch eine Waisenhaus-Hölle seinen Weg findet, kommt der Junge weniger gut zurecht mit seinem Leben und gleitet trotz vieler Talente in die Kriminalität ab, landet gar im Gefängnis. Finden die Zwillinge wieder zueinander ?
Umschlagtext: ‚Das bewegende Zeugnis einer Suche nach den eigenen Wurzeln – und eine Geschichte, die uns die Augen öffnet für die tiefen Weisheiten und Mythen eines alten Volkes.’ Viel positiver lässt es sich kaum ausdrücken. Marlo Morgan hat sicher das, was man landläufig eine ‚flotte Schreibe’ nennt, auch wenn sie keinem Simmel oder Konsalik nahe kommt. Das Lesen fällt sehr leicht, ihr Buch ist durchaus in einem Rutsch zu bewältigen. Hohe intellektuelle Ansprüche sollte der Leser aber besser nicht mitbringen, große Realitätsnähe auch nicht erwarten. Der Roman ist holzschnittartig, sehr holzschnittartig:
Auf der einen Seite gibt es gute, erdverbundene Ureinwohner, die mit der Natur im glücklichen Einklang leben und die ihre kleinen, harmlosen Zwistigkeiten politisch korrekt in Übereinstimmung mit religiösen Überzeugungen gutmenschlich und vorbildlich regeln. Auf der anderen Seite existieren böse, verbiesterte und weiße Herrenmenschen, die mit der Natur nicht zurecht kommen, Ureinwohner zwangsmissionieren und –sterilisieren, ihre Zwistigkeiten mit Gewalt eher nicht lösen und im Namen des Christentums unmenschlichst handeln. Das mag durchaus der Realität entsprechen, schließlich wurden und werden Australiens Ureinwohner von Weißen Christen ausgebeutet und unterdrückt, nur bekommt diese Tatsache bei Frau Morgan einen religiösen, fast fanatischen Charakter nach dem Motto:
Ureinwohner immer gut – Weiße immer schlecht.
Schon im ‚Traumfänger’ outete sich die Autorin als Gläubige, die jeglichen Geisterglauben und jedes unerklärliche Erlebnis einer Jüngerin gleich verkündete, für Zivilisation und das normale Leben von weißhäutigen Menschen jedoch allenfalls Verachtung oder Mitleid übrig hatte. Ähnlich ist es auch in diesem Buch, in dem sie gern und ausführlich die umwerfend banalen Weisheiten der Ureinwohner zelebriert (hier eine Kurzfassung, im Roman nimmt das epische Ausmaße an):


 1. Du sollst Deiner eigenen Kreativität Ausdruck verleihen
 2. Erkenne, dass Du Verantwortung trägst
 3. Vor Deiner Geburt hast Du eingewilligt, anderen zu helfen
 4. Du sollst emotionale Reife erlangen
 5. Du sollst unterhaltsam sein
 6. Du sollst ein guter Verwalter Deiner Energien sein
 7. Du sollst die Musik genießen
 8. Du sollst nach Weisheit streben
 9. Du sollst Selbstdisziplin lernen
10. Du sollst beobachten, ohne zu urteilen.


Dabei sind die 10 Gebote oder das Strafgesetzbuch auch gar nicht so schlecht, wenn sich denn jemand ernstlich danach richten wollte. So hübsch, naiv und bilderreich der Roman auch erzählt wird, so sehr störte mich doch das permanent durchschimmernde, wachturmartige, sich zur weissmenschigen Schlechtigkeit und Schuldigkeit Bekennen-Wollen der Autorin. Gerade so, als würde es allgemein unter Ureinwohnern, welcher Rasse sie auch entstammten, niemals Ungerechtigkeiten oder blutige Auseinandersetzungen geben. Mir fällt da auf Anhieb Afrika ein, wo sich unterschiedliche Stämme, z.B. Hutus und Tutsies nicht weniger massakrierten als dies anderswo betrüblicherweise auch üblich ist. Leider ist es ja nicht so, dass ein Volk schon allein deswegen aus lauter guten und warmherzigen Menschen besteht, weil es einmal Opfer eines anderen Volkes oder dessen Herrschers geworden ist – es bleibt dennoch zu eigenen Schandtaten fähig und willens. Das ‚Burnum Burnum’, dem ältesten des Wurundjeri-Stammes, gewidmete Buch lebt von vielen schönen und lebendigen Beschreibungen, wenn es um tiefe Gefühle, üppige Landschaften, inneres Erleben und Mythisches geht. Obgleich kein australischer Ureinwohner, hatte ich passagenweise den starken Eindruck, mich regelrecht hineinfühlen zu können in die Gefühls- und Erlebniswelt der Figuren.
Viele Menschen fühlen sich in der westlichen Zivilisation unwohl oder vermissen Werte, wie sie früher wohl die Zugehörigkeit zum Christentum vermittelte. Solche Menschen suchen oft ihr Heil bei irgendwelchen, vorzugsweise indischen Sekten in der Hoffnung auf alsbaldige Sinnstiftung – dieses Buch verheißt den Segen eines erfüllten Lebens durch Übernahme australischer Ureinwohnerbräuche. Insoweit ist ‚Traumreisende’ tatsächlich nur ein zweiter, deutlich dünnerer Aufguss des ersten Bestsellers, der ähnlich religiösen Charakter aufwies. Als Urlaubslektüre für 8,50 Euro ist das Büchlein aber noch vertretbar, auch wenn der Spannungsbogen im zweiten Buchteil stark abfällt, und ich könnte mir vorstellen, dass sich vielleicht eher Frauen von dieser Art Literatur angesprochen fühlen.

         

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Genial Kochen mit Jamie Oliver...


Schon in der Schule lernte ich, dass Vorurteile unschön sind. Und so legte ich alle denkbaren Vorurteile gegen Menschen anderer Hautfarbe, Schwule, Rothaarige und Ungläubige einfach ab. Meine vorgefasste Meinung gegenüber den Kochversuchen der britischen Küche konnten mir lange Schuljahre aber niemals abgewöhnen.
Immer wieder blitzte dunkles, vorgestriges Denken in mir auf. Sei es in London nach einer Portion Fish’n Chips mit viel Essig oder in Folkstone nach einem kühlen Lammbraten in sämiger Minzsoße an halbgaren Kartoffeln. Warmes und beinahe kohlensäurefreies Bier ließ längst verdrängt geglaubte Vorurteile aufkeimen. Einzig die Mulligatawny und ein paar scharfe Sößchen sind für verwöhnte Gaumen erträglich.
Daran fühlte ich mich erinnert, als mir ein Freund ausgerechnet das Kochbuch des britischen Fernsehkochs Jamie Oliver empfahl – dessen Kochsendungen gibt es auf dem Intellektuellen-Kanal RTL 2. Kochkunst statt Kriegskunst von der Insel ? In stillem Gedenken an meine Schulzeit erwarb ich dieses Werk nahezu vorurteilsfrei für knapp 25 Euro. Dafür erwartete ich dann genial einfache Rezepte, aber die gebotenen waren nur einfach und kaum vom Geist der Genialität bestäubt. 

Beispiel Fischstäbchen-Sandwich: 
‚Zuerst nehme ich 4 Fischstäbchen aus dem Tiefkühlfach und grille sie unter dem Backofengrill auf jeder Seite goldbraun und knusprig. Inzwischen bestreiche ich 2 Scheiben Weißbrot mit Butter und eine Scheibe noch üppig mit Ketchup. Wenn die Fischstäbchen gar sind lege sie auf die auf die Brotscheibe mit dem Ketchup.’
Da ist der geübte Gourmet platt. Hat er sich doch über Jahre mit getrüffelten Medaillons vom Seeteufelfilet an püriertem Zweierlei vom Zander versucht, anstatt einfach Iglos Fischstäbchen in ein Brötchen mit Ketchup zu stopfen.

Herrn Oliver hätte ein Blick in die vergleichsweise preisgünstigen Werke des Dottore Oetker nicht geschadet. Dort sind sich nicht nur genaue Zutaten samt Zubereitungshinweisen aufgelistet, sondern es finden sich auch alle Zutaten bei der Zubereitung wieder. Völlig überrascht musste ich beim Nachkochen von Olivers Zitronen-Speise feststellen, dass mein halber Teelöffel Backpulver aus der Zutatenliste dann wohl doch nicht benötigt wird. Wenigstens war die Speise genießbar.

Ein geschmackliches Desaster offenbarten die ‚Sommerfrüchte in Gelee mit Holunderblütenlikör und Prosecco’. Das war zwar einfach und schnell zubereitet, schmeckte aber trotz exakter Dosierung viel zu wenig süß und viel zu alkoholisch. Von den versprochenen Kohlensäure-Perlchen waren im Gelee auch keine zu finden. Ich musste dieses Dessert, das nach Olivers Worten ‚toll’ ist und ‚einfach prima schmeckt’ trotz hochwertiger Zutaten in der Bio-Tonne entsorgen.

Bahnbrechend und für Sterne-Köche völliges Neuland dürfte das Joghurt-Eis sein, angeblich ‚wirklich lecker und erfrischend’. Es besteht aus 300g Tiefkühl-Früchten, 500g Joghurt und 2 Esslöffeln Honig. Das ganze wird im Mixer zerkleinert und vermischt – fertig. Witzigmann soll sich sein Lehrgeld wiedergeben lassen, hätte ihm auch einfallen können.

Von der Zubereitung einer ‚leckeren Pastete’ namens ‚Steak-und-Guiness-Pie’ habe ich abgesehen, schließlich sind Rindersteaks nicht ganz billig.

Meine kleine Auswahl mag zeigen, dass sich die 25,- Euro für das Elaborat des englischen Spitzenkochs allein wegen der Rezepte sicher nicht lohnen. Wegen der Photos übrigens auch nicht. Teilweise wurden Speisen lieblos und unscharf abgebildet, teilweise sieht man auch nur den Meister selbst mit oder ohne Freundin, mit oder ohne Gemüse. Oder eislutschende Kinder. Oder Kuchen backende Kinder in Schwarz-weiß. Vielleicht ist das avantgardistisch, so wie dereinst Beuys’ Fettstuhl.
Wenigstens das Inhaltsverzeichnis ist akzeptabel, gebackenes Lamm ist sowohl unter ‚Lamm’ als auch unter ‚gebackenes Lamm’ auffindbar.

Aber Jamie Oliver geht es nicht ausschließlich um die Vermittlung genialer Rezepte. Er möchte seine Leser gern erziehen und an seinen Lebensweisheiten teilhaben lassen.
‚Man tut sich selbst viel Gutes, wenn man Kräuter zum Kochen verwendet – also los: Machen Sie sich auf die Suche nach Ihren persönlichen Lieblingskräutern!’, ruft er dem Leser zu und verbreitet Aufbruchstimmung.
Mit erhobenem Zeigefinger werden Eltern altklug belehrt, wie sie ihre Kinder behandeln und an die geniale Kochkunst des Meisters heranführen sollten.

Vorurteile sind eine unschöne Sache. Darum lernt auch jeder Schüler, dass er keine haben sollte. Eine noch schlimmere Sache sind Vorurteile, wenn sie bestätigt werden. Die sich überschlagende Kritik für Olivers Machwerk und die exorbitant hohen Verkaufszahlen sind für mich als gewöhnlichen Kochbuchnutzer völlig unverständlich. Vielleicht wollen sich die Kritiker und Konsumenten auch nur von der Schuld, die sie mit vorgefassten Meinungen über britische Kochkunst auf sich luden, freikaufen. Ein fürwahr nobles Motiv. Aber Engländer können wirklich nicht kochen.

    

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Culinaria Griechenland

 

Die griechische hat Küche weitaus mehr zu bieten als Fleischfitzel vom Drehspieß plus Pommes Frites und Gurkenquark mit Knoblauch. Das beweist das opulente Kochbuch Culinaria Griechische Spezialitäten aus dem Könemann-Verlag. Kostet stolze 29 Euro, und die ist es auch wert. Ähnlich wie die anderen Bücher aus der Culinaria-Reihe ist dieses nicht nach Fleischsorten oder Nachspeisen, sondern nach Regionen sortiert und ausgesprochen üppig und meist sehr liebevoll bebildert.
Das ist nicht immer nur schön, wenn geschildert wird, dass Tintenfische zunächst etwa 40 mal auf einen Stein gepfeffert werden, damit sie schön zart sind. Damit auch nichts der Phantasie überlassen bleibt, gibt es auch noch ein schönes Farbfoto vom in seinem Schaum schwimmenden Oktopus, lecker. Aber so ist wohl das Leben, in Deutschland erhältliche Tintenfische werden eben maschinell gewalkt, damit sie überzeugend zart sind. Hilft jedoch meist nicht – wegen der Tiefkühlung haben Tintenfischringe in Deutschland meist die Konsistenz von stabilen Fahrradreifen. Aber ansonsten: Schöne Bilder von den griechischen Landschaften und Speisen, da kann man schon ernstlich ins Schwärmen geraten. Nicht alles sind Rezepte, es finden sich auch viele Abhandlungen über Honig oder Kräuter, insbesondere auf der Insel Kreta.
Allein die Photos lassen das Wasser im Munde zusammenlaufen und auch die Beschreibung hat jemand verfasst, dem kulinarische Genüsse zumindest nicht fern liegen.
Deutlich wird auch, dass die griechische Küche der türkischen vielfach doch sehr ähnlich ist, das fällt schon an den Bezeichnungen auf: Teigware heißt eben griechisch bureki und türkisch börek. Und wie zumindest Großstädtern aufgefallen sind, unterscheidet sich ein Gyros allenfalls marginal vom Döner. In wirklich epischer Breite und mit Hingabe widmet sich Culinaria dem Olivenöl – es gibt ja auch bis heute an den Straßenrändern Griechenlands kleine Miniaturkirchen, die Reisende zum Anhalten auffordern sollen. Darin befindet sich ein Glas mit Olivenöl, und wer den Docht entzündet, darf um Schutz bitten. Für meine Salate verwende ich tatsächlich fast ausschließlich kretisches Olivenöl (‚Kreta Premium’) – sehr teuer und sehr milde und sehr gut ! Der interessierte Leser kann auch erfahren, dass es nicht nur Ouzo 12 und den Ouzo von Aldi für knapp 5 Euro gibt, sondern durchaus einige Sorten mehr, die zu testen lohnen mag ;-)
Die griechische Küche ist offenbar nicht so arg kompliziert wie beispielsweise die französische, man kommt auch mit viel weniger Gewürzen aus. Es fällt ja schon beim Besuch hiesiger Griechen auf, dass außer Salz, Pfeffer, Zitrone, Dill, Olivenöl, Thymian und Knoblauch nicht sooo sehr wild gewürzt wird – die Gerichte leben eher von Frische und Qualität als von ausgefeilter Raffinesse. Ist ja nicht schlecht ! Darum kauft man in Greece Gewürze auch eher frisch und in kleinen Mengen als abgepackt in Kilo-Dosen. Dementsprechend einfach sind auch die abgedruckten Rezepte nachzukochen, das sollte wohl auch ein Büchsenkoch ohne Mühe bewältigen.
Auch die Griechen brauchen etwas Süßes im Leben, und ein Großteil diese Buches widmet sich daher kalorienreichen Leckereien. Offenbar mag man es in Griechenland wirklich so süß, wie ich es hier aus Restaurants kenne – da wird doch sehr stark, für meinen Geschmack zu stark gesüßt. Selbst halbwegs natursüße Sachen wie Joghurt mit Walnüssen und Honig können einem ungeübten Zuckerschlecker glatt die Schuhe ausziehen.
Insgesamt ist Culinaria, wie alle Bücher dieser Reihe, ein ausgesprochen schönes und gelungenes Buch, das eher zum Lesen und Verweilen als zum In-die-Küche-Springen und Nachkochen anregt. Wer es aber doch mit letzterem versucht, wird schnell vorzeigbare Erfolgserlebnisse haben, auch wenn es ungewohnt ist, dass kaum ein Gericht ohne einen Viertel Liter Olivenöl auszukommen scheint. Das Buch verursacht bei längerem Blättern wegen der schönen Bilder durchaus neben Hunger auch Fernweh – auch wenn vieles, was mir romantisch erscheinen will, wohl eher mit Armut zu tun hat. Jedenfalls ist das 2-Kilo-Werk sein Geld sicher wert gewesen, das Buch macht auch im Regal richtig etwas her, ist aber für die Küche doch etwas groß geraten. Und es wäre auch schade, wenn Culinaria mit Olivenölspritzern verunziert würde ;-)

    

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Culinaria Deutsche Spezialitäten

 

Mit deutscher Küche verbindet man gern unschöne Gedanken an Gaststätten der späten 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, in denen deftige Fleischgerichte mit zerkochten Kartoffeln, Dosenbohnen und einer schweren, braunen Mehltunke würzarm und salzig serviert wurden. Das Ganze womöglich noch garniert mit einem ‚frischen’ Zigeunersalat mit eingelegten Möhrenschnitzen aus dem Glas, gefolgt von liebloser Dosen-Birne-Helene-Benachtischung. Mahlzeit !

Solche kulinarischen Zumutungen sind zwar glücklicherweise nur noch selten anzutreffen, aber sie haben sich doch in den Köpfen festgefressen und man speist keinesfalls deutsch, sondern mit Vorliebe beim Italiener, Türken, Griechen oder Chinesen. 

Gute Restaurants mit deutscher Küche sind daher selten geworden, dabei liegt das offenkundig nicht an einem Mangel guter Rezepte, wie das vorliegende Buch recht eindrucksvoll beweist – es gibt doch noch andere essbare Köstlichkeiten außer einem grossen Fleischbrocken mit was drumrum...

Culinaria Deutsche Spezialitäten ist kein gewöhnliches Kochbuch, es sortiert Rezepte nämlich nicht nach Fleisch / Fisch / Nachspeise , sondern nach Regionen und Bundesländern. Diese Regionen sind wie die Speisen mit sehr vielen, sehr schönen Bildern illustriert, und sie werden auch mit ihren menschlichen und landschaftlichen Eigenheiten liebevoll beschrieben – sogar geschichtliche Zusammenhänge werden erläutert und in kulinarische Zusammenhänge gestellt.. 

Wer ein reines Rezeptbuch sucht, liegt mit diesem Werk völlig falsch, denn nicht einmal ein Drittel des Umfanges von knapp 460 Seiten besteht aus Kochanweisungen. Dies ist mehr etwas zum lesen, schmökern, genießen und Anregungen holen – nichts für Leute auf Diät, auch wenn Fisch und Obst nicht fehlen. Es ist einfach ein RICHTIG SCHÖNES Buch, eines für Menschen, die Bücher mögen. Der Verlag Könemann hat großen Wert auf Qualität in jeder Hinsicht gelegt, was sich auch im Preis von 29,- Euro  bemerkbar macht. Offenbar aber doch noch zu billig, denn Könemann hat mittlerweile seine Pforten geschlossen, es gibt nur noch Restbestände der Culinaria-Reihe zu kaufen, u.a. bei amazon.de 

Natürlich sind neben landschaftlichen Schönheiten auch regionale Rezepte beschrieben, wie eben auch der vielerorts gefürchtete Pfälzer Saumagen , die Frankfurter grüne Sauce oder Hamburger Aalsuppe – eben typische deutsche Spezialitäten (, die mich dann doch wieder zum Italiener treiben ;-) ). Zwischendurch findet sich immer wieder eine reich bebilderte Warenkunde, so dass bei Einkauf und Zubereitung wenig schief gehen kann. Die aufgeführten Rezepte sind auch nichts für überdrehte oder durchgeknallte 9-Sterne-Gourmetköche, die ein 29-Gänge-Menü mit püriertem Zanderfilet an sautiertem Pfifferling-Entenleber-Campari-Ragout kredenzen möchten. Vielmehr macht Culinaria deutlich, dass es weniger auf wilde, verwegene Raffinesse ankommt, sondern auf hochwertige Zutaten, die ‚auf den Punkt’ zubereitet werden. So etwas muss denn auch nicht teuer sein und eignet sich durchaus für Anfänger.

Und es wird deutlich, dass deutsche Küche eben nicht nur aus deftigen Fleischspeisen besteht, sondern auch vielerlei vegetarische oder fischlastige Köstlichkeiten bietet. Man darf ja nicht vergessen, dass auch die chinesische Küche mit ihren Reisgerichten oder die italienische Nudelküche ursprünglich aus Mangel geborene Arme-Leute-Küchen sind – so ähnlich ist es auch mit der deutschen Küche, denn kaum jemand konnte sich früher die heute üblichen Fleischberge leisten. Natürlich kommt auch die Fleischzubereitung nicht zu kurz, Könemann hat lobenswerterweise die sogenannten neuen Bundesländer nicht vergessen und berichtet ausführlich über die Wurstkünste der Thüringer. Insgesamt ist Culinaria aber mehr ein Buch für jemanden, der eine Küche schon einmal von innen gesehen und sich dort an mehr als der mikrowellenmässigen Behandlung einer Tiefkühl-Pizza versucht hat. Denn im Gegensatz zu den Grundkochbüchern des Dottore Oetker ist das Register doch eher von mäßiger Qualität und sind die angegebenen Zubereitungszeiten eher vage.

Mit 33 x 27 x 4 cm Größe passt dieses Oeuvre nicht in jede Küche und nicht in jedes Regal, aber ich finde es einfach toll – darum habe ich mir auch die Ausgaben Espana, Italia, USA, Karibik, Provence, Naturkost und Südostasien gegönnt. Alle zu empfehlen. Abraten muss ich von Culinaria Ungarn, weil die Rezepte nicht geprüft wurden – viele Zutaten in der Liste finden sich dann im Rezept nicht wieder, und wohin dann mit dem aufgeschlagenen Ei ?

    

 


--- Filmwarnung: Down By Law ---


Seit ewigen Zeiten sind Menschen Suchende. Sie suchen nach Erklärungen für Dinge oder Zusammenhänge, die sie nicht sofort verstehen können. Früher hatte man Mühe, eine mögliche Ursache für den Regen zu finden. Auf etwas einfaches wie ‚verdunstetes Wasser’ kam niemand, also entschied man sich für etwas Tiefenschweres und vermutete hinter dem Wasser von oben eben einen mystischen, dräuenden Regengott.

Cineasten sind auch Menschen auf der Suche. Hat ein Kinofilm keine Handlung, glänzt er durch minutenlange, handlungsfreie Szenen und besticht er durch gähnende Langeweile, sucht der bekennende Cineast nach dem tieferen Sinn. Der muss schließlich da irgendwo sein, wo ihn niemand sehen kann. Irgendwo dahinter. Mystisch.
Also werden inhaltsarme Filme wie beispielweise ‚Paris, Texas’ von Wim Wenders kurzerhand zu Kultfilmen erklärt, deren Bedeutung sich natürlich nur den empfindsamsten Seelen oder Deutschlehrerinnen erschließt.
‚Down by law’ ist auch so ein Glanzstück. Der Film spielt in Louisiana, wo zwei Verlierer (die Musiker Tom Waits und John Lurie, die natürlich auch wie Verlierer aussehen und wortkarg sind) sich plötzlich zusammen in einer Gefängniszelle wiederfinden. Eines Tages wird ein lautstarker und kaum englisch-sprechender Italiener (Roberto Benigni) zu ihnen in die Zelle gesteckt, die Stimmung zwischen den Insassen ändert sich. Plötzlich ist ein Gefängnisausbruch erfolgt, nach und nach trennen sich dann die Wege der Männer.
Soweit die Handlung für 110 Minuten.

Was macht ein Regisseur, dem absolut nichts einfällt und der dennoch originell sein will?
Richtig – er dreht den Film in Schwarz-weiß. Und: Er drapiert am Anfang des Films möglichst ausführlich eine ganz doll nackte Frau avantgardistisch ins Bild.
So was gibt dem geübten Cineasten ordentlich zu denken.
Und dann die Szene im Gefängnis: Der Italiener ist dort gelandet, weil er jemanden mit einer schwarzen Billardkugel erschlagen hat, wie er stotternd erzählt. Was für eine spritzige Idee!

Gerade sehe ich, wie jemand bei Ebay den Film verkaufen möchte und ihn wie folgt anpreist:
‚Einer der emotionalen Höhepunkte des Films ist, wenn die drei in ihrer Zelle im Kreis hintereinander her laufen und rufen: "I scream, you scream, we all scream for ice cream!" Dieser Stil kreiert durch seine Ausdruckslosigkeit seine ganz eigene Art von Humor, die von Melancholie unterstrichen ist, was zusätzlich durch die Musik von Lurie und die raue Stimme von Waits betont wird.’

I scream, you scream, we all scream for ice cream – welch’ ein überwältigender Wortwitz! Da schlägt sich der Kinokenner natürlich brüllend vor Lachen auf die Schenkel und weiß, dass er den Film in all’ seinen facettenreichen Facetten verstanden hat. Denn der Film ist aus seiner Sicht natürlich keinesfalls langweilig, sondern er soll die Langeweile, die Öde und Einsamkeit des Lebens visuell darstellen und erlebbar machen. Das erinnert mich alles stark an die ‚Hurz’-Vorstellung vom Hape Kerkeling, in der den Leuten irgendwelcher Unsinn vorgesungen wurde und danach eine ernsthafte Diskussion zum Thema stattfand. Und an die von Affen gefertigten Gemälde mit Titeln wie ‚Am Rande der Kalahari’, die dann vom Publikum mit tieferem Sinn versehen wurden.

‚Down by law’ ist ein todlangweiliger, nahezu handlungsfreier, textarmer Film – insoweit wirklich die Visualisierung von Langeweile. Aber wer das möchte, kann ja auch einfach 110 Minuten lang an die Zimmerdecke starren. Oder mal um die Ecke zur Apotheke gehen, um sich deren neue Schaufensterdekoration anzusehen – aber das wäre dann doch viel spannender.
Den Film gibt es nur in einer englischen Fassung (mit deutschen Untertiteln / MONO), der angebliche Sprachwitz dürfte aber auch Menschen ohne Kenntnisse der englischen problemlos zugänglich sein. Die DVD kostet rund 30,- Euro, zuweilen sendet aber auch das ZDF diesen 'cineastischen Leckerbissen' im Spätprogramm und verschwendet Gebühren.

Offen gesagt: Es erschließt sich mir nicht, weshalb dieser Film ausschließlich hochgelobt wird. Mag niemand zugeben, dass er dieses dürre, überlange Machwerk mangels Inhalt bloß nicht verstanden hat? 

 

    
 

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